Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Gleichzeitig geht jemand wie Uwe Tellkamp nah an unsere Schmerzgrenze.

Vom Meisterwerk zum Skandal

Nach einer Rezension in der Süddeutschen Zeitung kaufte ich mir 2008 den Roman „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Was soll ich sagen, bisher ergab sich keine Gelegenheit, den Roman zu lesen. Genauer gesagt befreite ich erst gut ein Jahr nach unserem Umzug nach Emden das Buch von der Plastikfolie, weil es im Regal etwas peinlich aussah. Mittlerweile verspüre ich auch wenig Lust, den Roman überhaupt mal zur Hand zu nehmen.

Ein Meisterwerk. Wenn in Zukunft einer wissen will, wie es denn wirklich gewesen ist in der späten DDR, sollte man ihm rasch und entschlossen den neuen Roman von Uwe Tellkamp in die Hand drücken.
Jens Bisk, Süddeutsche Zeitung

Mein älteres Ich reagiert ziemlich allergisch auf solche Lobhudelei, aber das ist nicht der Grund, warum ich den Roman nicht lesen werde — obwohl er mich thematisch prinzipiell interessiert. Es liegt schlicht und einfach an der Person des Autors, denn nach wie vor bin ich der Meinung, dass sich Werk und Autor nicht einfach trennen lassen.

Bereits vor dem Interview mit Uwe Tellkamp in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung anlässlich seines neusten Romans hatte ich den Autor in eine andere Schublade sortiert.

Linientreue bei Tellkamp

Bereits 2018 sorgte Tellkamp für einigen Wirbel. Etwa mit folgender Aussage:

Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.

Ihm wurde nachgesagt, mit PEGIDA und der AfD zu sympathisieren. Zudem ließ er selber etwas verklausuliert verlauten, Andersdenkenden würden zunehmend in Deutschland keinen Platz mehr finden. Tja, und nun erscheint ein neuer Roman von ihm. In solche Fällen kann man natürlich vor die Kamera treten und sagen, man habe sich teilweise auf einem Irrweg befunden. Man habe seinen eigene Wertekompass verloren — all so ein Zeug halt. Tellkamp, zumindest das kann man ihm anrechnen, bleibt sich und seiner Linie treu.

Der erste Teil des Interviews in der SZ, bei dem es hauptsächlich um sein Buch und seine Tätigkeit als Autor geht, ist harmlos. Dann aber kommen Aussagen, bei denen sich zumindest mit einer ähnlichen politischen Sozialisation wie ich am Frühstückstisch übergeben muss.

T. hält sich für den großen Bruder, der PEGIA und AfD vor Anfeindungen auf dem Schulhof in Schutz nehmen muss. Den Begriff „Umvolkung“ hält er offensichtlich für genauso harmlos wie „Personalwechsel“ bei der Deutschen Bahn. Sein Xenophobie ist sehr deutlich zu spüren.

Die Krönung ist seine Einlassung zum Thema „Demokraten koalieren nicht mit Antidemokraten“. Hier stellt die Frage, wer denn überhaupt definiere, wer Antidemokrat sei. Schließlich wären die Grünen im Osten eine Splitterpartei, die den Menschen ihr Weltsicht aufzwingen wollten. Durch die Blume bezweifelt er dann auch noch die Schädlichkeit fossiler Brennstoffe.

Im Übrigen, auch wenn ich derzeit noch Platz im Regal habe, hätte ich ein Buch zu verschenken.

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