Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Einen der schwärzesten Tage seiner Geschichte hatte Großbritannien gestern mit der Ernennung von Boris Johnson zum Premierminister.

Minderheit bestimmt das Schicksal

Der neue britische Premierminister Boris Johnson wird aller Wahrscheinlichkeit derjenige sein, der Großbritannien in den Brexit führen wird. Egal zu welchem Preis. Sehr deutlich erklärte er bereits im Vorfeld, auch einen Brexit ohne Vertrag am 31. Oktober in Kauf zu nehmen. Damit würde unabsehbares Chaos entstehen, mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen. Sowohl die Torries, die ihn zum Premierminister machten als auch Boris Johnson selber scheint das egal zu sein.

Was mich dabei am meisten irritiert ist das Verfahren, mit dem Boris Johnson Premierminister. Es gab keine Neuwahlen für das Parlament, obwohl diese angesichts der verfahrenen Lage dringend geboten wären. Statt dessen rückte Johnson als Ersatz für die zurückgetretenen Theresa May nach. Gewählt wurde er dabei lediglich innerparteilich von den Torries, und zwar mit einer Mehrheit von 66 Prozent der Mitglieder der konservativen Partei.

Genau das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. In der Süddeutschen Zeitung hat das Stefan Kornelius mal umgerechnet. Für Johnson stimmten 92.153 Mitglieder, das entspricht 0,2 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Großbritannien. Demokratisch ist so was eher nicht, leider aber völlig legitim an der Stelle.

Überraschungsei Boris Johnson

Überraschungsei Boris Johnson

Brexit by Boris Johnson

Bei der Tragweite, welcher der Brexit für die Menschen in Großbritannien haben wird — bis hin zur Spaltung des Landes — erstaunt das Verfahren jedoch. Es erscheint, als läge das Schicksal einer ganzen Nation in den Händen eines Mannes. Dieser Boris Johnson ist dabei jemand, dem man nicht trauen kann. Jemand, der nachweislich mehrfach gelogen hat.

Vergleiche mit dem US-amerikanischen Präsidenten liegen nah, sind aber an dieser Stelle fehl am Platz. Sicherlich gibt es einen Menge Ähnlichkeiten in den Charakterzügen der beiden Männer, sie unterscheidet aber einiges. Egal was man von Trump hält, er ist zumindest durch eine echte Wahl zum Präsidenten geworden und hatte damals eine knappe Mehrheit hinter sich — die Feinheiten des US-amerikanischen Wahlrechts lassen wir hier unter den Tisch fallen.

Bereits Tage vorher zeigte sich, auf wie wenig Gegenliebe Boris Johnson stoßen wird. Zwar ist er von einer Mehrheit seiner Partei gewählt worden, was aber nicht zwangsläufig eine Mehrheit der Fraktion im Unterhaus bedeutet. Dort sind die Mehrheitsverhältnisse denkbar knapp, nicht alle Torries dort sind mit seinem radikalen Kurs einverstanden. Daher traten einige Minister bereits zurück oder kündigten diese an.

Die einzige Hoffnung besteht darin, dass Boris Johnson ein brüllender Löwe ist, der an der Realität scheitern wird. Neuwahlen wären dann statt eines unkontrollierten Brexit die bessere Option im Herbst.

Eine Antwort

  1. Wenn Johnson der Mann ist, für den er gehalten wird, könnte er vielleicht vor dem 31.10. nicht mehr im Amt sein. Aber wie könnte die anzustrebende Neuwahl eingeleitet werden? Das werden die Konservativen sich nicht leisten. Ist ganz ähnlich wie in Deutschland. Hier wird nicht nur die SPD, sondern auch die Union an Neuwahlen nicht besonders interessiert sein. Die Union könnte zwar mit den Grünen koalieren, trotzdem verlören sehr viele Abgeordnete der Union ihr Mandat. Das würde für böses Blut innerhalb der Partei sorgen. Überall das Gleiche – im Prinzip.

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