Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Wünsche in unserem Leben drehen sich meistens ums haben wollen von Dingen. Die meisten davon brauchen wir allerdings nicht.

Brettspiele sind Luxus

Kleines Geständnis am Donnerstag: Wenn mir morgens beim Frühstück die Zeitung zu anstrengend ist, lese ich ein paar Beiträge in einem großen deutschen Brettspielforum. Von informativ bis erheitern ist alles dabei, in einigen Fällen wird man sogar zum Kauf neuer Brettspiele verleitet. Selber im Forum aktiv zu werden habe ich nach wie vor ausgeschlossen, da der Ton dort mitunter etwas sportlicher zugeht — um es mal höflich zu formulieren.

Wie dem auch sei, beim Frühstück stolperte ich über einen Artikel zum Kickstarter und Crowdfunding. Die These: das System der Vorfinanzierung sei kaputt. Neben steigenden Preise und Versandkosten würde auch die Unterschiede zwischen einer Version, die später in den Fachhandel kommt und der exklusiven, nur auf Kickstarter (oder ähnlichen Plattformen) immer deutlicher auseinandergehen. Wer nicht von Anfang an All-in geht, bekommt im schlimmsten Fall nur ein halbes Spiel.

Bei Preisen jenseits der 150 Euro ist das natürlich immer eine hohe Investition ins Blaue. Zusätzlich scheint es auch ein Trend zu sein, Crowdfunding nicht nur für Projekte zu verwenden, die sonst keine Chance haben, als Kalkulationsgrundlage für die Auflagenhöhe bereits etablierter Verlage.

Man kann das allerdings auch unter einem anderen Aspekt betrachten: Brettspiele sind Luxus, es gibt keines, was man wirklich haben muss. Aber ist das wirklich so?

Spiele die man haben muss

Auf seine Weise charmant fand ich den Spruch eines Forenmitglieds: „Besser haben als brauchen“. Charmant deshalb, weil er weit über Brettspiele hinaus zum Nachdenken anregt. Aber der Reihe nach.

Wenn ich mir meine eigene Spielesammlung ansehen, dann ist die Frage, ob ich ein neues Spiel brauche, eher rhetorischer Natur. Immerhin hat sich bei mir einiges im Regal verändert, auch wenn die Anzahl der Spiele nicht groß geschrumpft ist — wenn man sich von Spielen trennt, aber dafür dann wieder neue kauft, ist es eher ein Nullsummenspiel.

Früher ging es mir bei Brettspielen in erster Linie ums Haben. Ich wollte eine eigene Sammlung aufbauen, zum Teil wurden Spiele blind gekauft oder weil sie gerade im Angebot waren. Im Ergebnis lagen bei mir über Jahre Spiele im Regal, die nie gespielt habe. Eines davon, „Das letzte Paradies“ von Reiner Knizzia, liegt gerade oben in der Verkaufskiste. Das wollte ich damals auch einfach deshalb haben, weil Knizzia angesagter Autor war und in der Edition Perlhuhn eine ganze Reihe guter Spiele erschienen sind. Bereits zu dem Zeitpunkt besaß ich aber so viele Spiele, dass ich es nicht gebraucht hätte.

Vorräte für alle Fälle

Mittlerweile bin ich extrem vorsichtig bei Anschaffungen geworden. Zudem setze ich bei den allermeisten neuen Spielen ein Verfallsdatum. Was innerhalb eines Jahres nicht auf den Tisch gekommen ist, muss wieder raus. Platz schaffen für Neues, was man haben möchte. Da sind wir dann beim springenden Punkt: möchten statt müssen. Eine Zeitlang hing ich auch der Idee an, für kommende Gelegenheiten das passende Spiel in der Sammlung zu haben. Für Nichtspieler, Gelegenheitsspieler, Partyspielspieler und so weiter. Besonders blöd ist so was, wenn solche Gelegenheiten auf sich warten lassen und nie kommen. Fakt ist, dass man keine Vorräte bei Brettspielen braucht.

Selbst wenn man gut aufgestellt sein möchte hinsichtlich der Auswahl, werden wohl 50 bis 100 Brettspiele vollkommen ausreichen. Ehedem eine Zahl, die weit über dem liegt, was Bundesdurchschnitt in Haushalten an Brettspielen vorhanden ist.

Etwas besitzen wollen als Selbstzweck ist bei Brettspielen ehrlich gesagt ziemlich blöd. Mittlerweile würde ich mich auch nicht als Sammler, sondern Spieler bezeichnen. Darüber hinaus muss ich mir mit zunehmenden Alter auch die Frage stellen, wofür ich denn überhaupt noch sammeln würde. Seriös gerechnet reicht der bisherige Bestand an Spielen bis ins hohe Rentenalter. Und zum Vererben gibt es niemanden.

Besitz macht unfrei

Weiter oben schrieb ich, dass mich das Sprichwort auch über Brettspiele hinaus zum Nachdenken brachte. Haben statt brauchen ist einer (trotz Krisen immer noch) Überflussgesellschaft eigentlich nicht angebracht. Selbst wenn ich sagen wir mal einen WC-Sitz-Montageschlüssel brauche, kann ich mir den kurzfristig bestellen und liefern lassen. Blöd daran ist der Nutzungshäufigkeit. Persönlich würde es mir reichen, so was auch einfach nur auszuleihen. Das Thema hatten wir ja beim Rasenmäher schon.

Bei mir stellt sich auch das Gefühl ein, mit mehr Besitz immer auch etwas unfreier zu werden. Wer viel hat, muss auch viel unterbringen (siehe Spielesammlung). Ich denke, was man wirklich braucht, würde in einen Reiserucksack oder ein paar Fahrradpacktaschen passen. Das wiederum führt mich zu einem Artikel gestern in der Emder Zeitung über ein junges Paar aus Emden, welches mit Fahrrädern von Emden aus zum Polarmeer und wieder zurückfahren will. Eine Rundreise von 8500 Kilometer. Drei Monate werden die beiden unterwegs sein. Beneidenswert auch deshalb, weil man unterwegs einfach frei ist — quasi das letzte Paradies

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