Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Emden nähert sich mit großen Schritten einem Inzidenzwert von 200. In Niedersachsen wurde die Seehafenstadt jetzt sogar Klassenbester.

Emden wird Ironiegebiet

Mittlerweile ist die Gesellschaft in einem Gemütszustand angekommen, wo jegliche Form der Ironie mit großflächigen Warnhinweisen versehen werden muss. Also, ganz deutlich: Emden als Klassenbester ein Niedersachsen ist selbstverständlich ironisch gemeint. Bei einem Inzidenzwert von 160 fällt zumindest mir nichts mehr ein. Emden schafft es nicht nur in Niedersachsen, sondern auch bundesweit an eine Spitzenposition.

Dankenswerterweise hat die Emder Zeitung heute Morgen sehr deutlich klar gemacht, woher die neuen Fälle kommen. Es ist vor allem ein Ausbruch von Covid-19 im Seniorenwohnheim am Wall. Trotz sämtlicher Unterstellung trägt die muslimische Gemeinde in Emden nicht zu einem explosionsartig gestiegenen Inzidenzwert bei. Das muss man in aller Deutlichkeit betonen, da es aufgrund eines Gottesdienstes in einer Sporthalle eine unschöne Diskussion in den sozialen Netzwerken gab. Der Oberbürgermeister hatte die Veranstaltung zum Ende des Ramadan nicht nur genehmigt, sondern auch die Sporthalle zur Verfügung gestellt, damit die Abstandsregeln bei der Anzahl der zu erwartenden Teilnehmer eingehalten werden konnten.

Meiner Meinung nach ist das etwas, was man lobend erwähnen muss. Ein nicht unerheblicher Teil derjenigen, die sich darüber ausließen, nahm den Gottesdienst einfach nur zum Vorwand, um ein Ventil für ihre Islamophobie zu finden. In Bezug auf Pauschalverdächtigungen hätte ich für meinen Teil die ganzen Touristen zum Beispiel vergangen Donnerstag bevorzugt.

Niemals Klassenbester

Kommen wir aber zurück zum Begriff Klassenbester. Wie unschwer vermutet werden kann, war ich für meinen Teil nie Klassenbester, allerdings auch nicht mal Klassenclown. Allerdings hab nicht nur ich es zu verantworten, dass unser Abitur-Jahrgang von der Lehrerschaft damals als extrem durchschnittlich bezeichnet wurde.

Klassenbester wird wohl auch Thomas Gottschalk nicht gewesen sein. Sein Lehramtsstudium hat er auf jeden Fall abgebrochen. Wie ich überhaupt auf Gottschalk komme? Nun, in der Süddeutschen Zeitung von heute ist ein Gastartikel von ihm zu finden. In der Kommune „Was folgt“ schreibt über seine Sicht auf die helleren Tage vor Corona.

Mich hat der Text des nunmehr 71-Jährigen heute Morgen beim Frühstück bewegt. Das erste Mal, als ich sein Alter las. Mir bringt das ins Bewusstsein, dass ich selber inzwischen schon 50 Jahre alt bin. Als Gottschalkjünger war, galt das für mich entsprechend auch.

Es gibt nichts Spezielles im Text, was ich auf Anhieb benennen könnte. Eher die Grundstimmung, die bei mir ein Punkt traf. Mich beschleicht das Gefühl, mit der Pandemie eine Art Zäsur zu erleben. AB jetzt ist ein bestimmtes Lebensgefühl endgültig verloren.

Jugend von heute

Urteile über die Jugend oder Kinder von heute möchte ich mir an dieser Stelle nicht erlauben. Für mich steht mehr den je fest, nicht mehr jung sein zu wollen. Nicht in dieser Zeit. Klimakatastrophe, Pandemie und Helikoptereltern — schwer zu entscheiden, was schlimmer ist.

Bereit im Grundschulalter bin ich ohne Helm mit Fahrrad zusammen mit Freunden an Orte gefahren, bei denen heute Eltern Schweißausbrüche bekommen würden. Wir haben an Bächen und kleineren Flüssen gespielt. Selbstverständlich hatte ich Streichhölzer und ein Taschenmesser dabei. Aber ich schweife ab, möchte auch eigentlich nichts verklären.

Die Jugend von heute bewundere ich für das, was sie alles erträgt und noch ertragen muss.

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