Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Hinter den rostfarbenen Wolken ließ sich die Sonne erahnen. Leute 4-7 stand mit verschränkten Armen am Fenster.

Die dreifachverglasten und getönten Scheiben ließen nur wenig von draußen herein. Erst in neun Minuten würde sein Passierschein gültig werden. Genau um 12:30 Uhr wurde ihm das Verlassen seiner Wohnung für sechzig Minuten gestattet. Auf dem RFID-Chip des Passierscheins war als Grund „Lebensmitteleinkäufe“ angegeben. Online musste der Passierschein jede Woche neu freigeschaltet werden. Ohne Passierschein konnte der Aufenthalt im Freien ernsthafte Konsequenzen haben.

Draußen über der Siedlung schwebte langsam eine der neuen Beobachtungsdrohnen vorbei. Für Leute 4-7 gehörte dies zu den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung. Am Abend sollte über weitere Einschnitte abgestimmt werden. Jeder konnte sich über seinen Netzzugang dran beteiligen. So viel Demokratie blieb ihnen noch.

Auf nach Cortopia

Fisch mit Hoffnung

Unabsichtlich trugen die Erziehungsmethoden in seiner Kindheit zum besseren Ertragen des aktuellen Zustands bei. Hausarrest bereits bei den kleinsten Vergehen. Trotzdem wollte Leute 4-7 nicht wohlwollend an seinen Vater zurückdenken. Auch mit dem besten Training ließ sich die dauerhafte Isolation nur schwer über einen längeren Zeitraum ertragen. Selbst im Hausflur achtete man darauf, niemand zu begegnen- Leute 4-7 lauschte an der Wohnungstür, bevor er hinaus trat. Die Tür zog er lediglich zu. Einbrüche gab es seit Monaten nicht mehr.

Am Straßenrand lag der erschossene Hund eines Nachbarn. Sein Besitzer zeigte sich gestern den Ordnungskräften gegenüber uneinsichtig. In solchen Fällen wurde schnell und hart durchgegriffen. Man hatte Mensch 3-2 nicht mal mehr zurück in seine Wohnung gelassen. In der Regel wurden die Gerichtsverfahren innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen. Das gültige Strafmaß änderte sich von Woche zu Woche. Selten zugunsten der Angeklagten.

Die Uhr am Handgelenk erinnerte Leute 4-7 daran, nicht stehen zu bleiben und zu viel Zeit zu verschwenden. Er passierte den ersten Scanner noch innerhalb der Siedlung. Bis zum für ihn zuständigen Supermarkt lag ein 14-minütiger Fußweg vor ihm. Kurz bevor er sein Ziel erreichte, kam es zu einem Zwischenfall. Die GRAUEN hielten einen anderen 12:30-iger an. Über dem Scanner blinkte die rote Warnleuchte. Panik zeigte sich im Gesicht des Ertappten. Der Unglückliche konnte seinen Passierschein nicht vorzeigen. Vermutlich lag der noch zu Hause. Letzte Woche wäre das Leute 4-7 in der Eile auch fast passiert.

In seiner Verzweiflung versuchte der Neutäter wegzulaufen. Ohne zu zögern gab einer der GRAUEN einen Schub ab. Tödlich getroffen fiel der Neutäter der Länge nach auf den Asphalt der autofreien Straße. Noch an Ort und Stelle verbrannte man seinen Körper. Eine Maßnahme, der auch Leute 4-7 vor zwei Tagen bei demoKDireket zugestimmt hatte.

2 Kommentare

  1. Schrecklich-schön. Erinnert mich im Umriß an „Momo“. Paßt gut auf euch auf! Wir versuchen aktuell neben dem Sars-CoV2-Wahnsinn, ebenfalls Normalität einzuhalten. Da wird bei nebenan.de nach Hefe oder der entlaufenen Katze gefragt. Oder ob man morgen Spätnachmittag mitsingt.

    Liebe Grüße,
    Franziska

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