Von allen guten und bösen Geistern verlassen

In einer Petition wurde Gesundheitsminister Spahn dazu aufgefordert, einen Monat von Hartz IV zu leben. Aus gutem Grund hat er dies abgelehnt. Hineindenken ist die richtige Alternative.

Leben von Hartz IV

Ein, zwei Dinge vorweg. Der bringe ich Jens Spahn besondere Sympathie entgegen noch bin ich davon überzeugt, man könne von Hartz IV gut leben. Hartz IV ist nicht nur das Grabtuch der SPD, sondern eine verdammt schwache Leistung des Staats. Zu viel zu sterben und zu wenig, um am gesellschaftlichen leben teil zu haben. Nimmt man die Sanktionsmöglichkeiten hinzu, ist es eine Peitsche, mit der die schwächsten der Gesellschaft gegeißelt werden sollen. Aber dazu später noch mehr.
Das der Minister mit der sozialen Realität in Deutschland nicht vertraut ist, hat er ziemlich deutlich gemacht. Entsprechend war auch der Gegenwind, der ihm entgegen schlug. Eine der Forderung bestand darin, mal einen Monat von Hartz IV zu leben, um ein Gefühl für die Umstände zu bekommen. Statt dessen hat er sich jetzt mit einer alleinerziehenden Hartz IV-Empfängerin getroffen, wie die Süddeutsche Zeitung heute berichtete. Im Kommentar begrüßte Henrike Rossbach den Umstand, dass Spahn nicht vorhabe von Hartz IV zu leben. Zuerst regte sich beim mir Widerstand, dann aber leuchtet die Argumente ein.

Hineindenken

Comfreak / Pixabay

Hineindenken — wichtig und richtig

Es sei nicht die persönliche Betroffenheit, die jemanden zu einem guten Politiker mache, schrieb Rossbach. Man muss an dieser Stelle den Kreis vergrößern und über den Tellerrand von Hartz IV hinausblicken, um ihr darin zustimmen zu können. Fragen wir uns andersherum: muss jemand selber vor Krieg und Elende geflogen sein, um sich erst richtig für Flüchtlinge engagieren zu können? Muss ein Bestatter selber jemanden verloren haben, um seine Kunden besser zu verstehen? Muss ich selber anhängig gewesen sein, um Junkies helfen zu dürfen? Die Liste mit Fragen lässt sich ohne Probleme verlängern.
Man muss etwas nicht selber erlebt haben, sondern sich gut in die Lebenssituation anderer hineindenken können. Mit anderen Worten, echte Empathie ersetzt das Erleben mitunter. Manchmal ist es sogar ganz gut, wenn man bestimmte Dinge nicht selber durchmachen musste, weil man dann objektivere Entscheidung treffen kann. Ob ein Kaffeekränzchen jetzt ausreicht, damit sich Jens Spahn künftig in die Lebenswelt von Hartz IV Empfängern hineindenken kann, sei mal dahin gestellt.

Grundsicherung reformieren

Spahn wir auch nach dem Treffen nicht zum glühenden Verfechter einer dringend notwendigen Reform der Grundsicherung — selbst dann, wenn er sich in das Elend der Betroffenen hineindenken kann. Es gehört noch eine Menge mehr dazu. Vor allem ist Symbolpolitik wie ein solches Treffen eher lächerlich.
Ganz und gar zu weinen ist allerdings die Forderung des CDU-Politikers Christian Gräff, Hartz IV für Menschen unter 50 Jahren komplett abzuschaffen. Ja richtig, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Berliner Union will de facto Hartz IV abschaffen. Nicht etwa, weil er für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, sondern weil die faulen Säcke arbeiten sollen. Wer nicht arbeiten will, muss eben hungern. Ganz ehrlich formuliert Gräff das nicht, er drückt sich etwas gewählter aus.

Es ist bei der derzeitigen Situation am Arbeitsmarkt nicht einzusehen, dass Menschen, die 25 oder auch 45 Jahre alt sind, zu Hause sitzen und Hartz IV beanspruchen können. Das ist gewissermaßen ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Arbeitslosengeld II wie auch die Wohnkosten-Gelder sollen für diese Personengruppe seiner Meinung nach gestrichen werden, damit sie sich um Arbeit kümmern.

Menschenverachtende Äußerung

Für mich ist der Standpunkt von Gräff menschenverachtend. Anders als Spahn geht es hier nicht darum, ob man sich in die Lebenssituation hineindenken kann oder nicht. Es geht um den Abschied von einer Gesellschaft, die sich kümmert. Um einen Pauschalverdacht. Gräff hält nämlich alle, die Hartz IV beziehen und gesund sind für arbeitsscheu. Davon abgesehen ist Hartz IV alles andere als ein solidarisches Grundeinkommen.

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