Zumindest für dieses Jahr habe ich wohl einen ersten Rekord aufgestellt. Gerade mal eine Hin- und Rückfahrt (Köln-Essen) hat es gedauert, um „Schuld“ von Ferdinand von Schirach auszulesen.
Die einzelnen Geschichte über das, wozu Menschen fähig sind, entwickeln einen Sog, den man sich kaum entziehen kann. Dabei schafft es von Schirach, mit einer klaren, präzisen Sprache den Blick des Lesers auf das Wesentliche zu lenken. Wie bei einem Bild werden mit wenigen Pinselstrichen Szene gemalt. Selbst die Figuren hat man plastisch vor Augen:
Der erste August war selbst für diese Jahreszeit zu heiß. Die Kleinstadt feierte ihr sechshundertjähriges Bestehen, es roch nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte, und der Bratdunst von fettigem Fleisch setzte sich in den Haaren fest.
Ob oder ob nicht die Texte von Fällen seiner Tätigkeit als Strafverteidiger abgeleitet sind, ist dabei völlig unerheblich. Entscheidend ist die Nachvollziehbarkeit. Die ist in jedem Fall gegeben. Teilweise stockt einem der Atem, man will nicht glauben was man gerade gelesen hat. In „Anatomie“, die Geschichte über einen Mörder (mehr möchte ich nicht verraten), braucht es gerade einmal 543 Zeichen dazu.
Was die Texte einem dabei abverlangen, ist das nachdenken. Wer das Buch ließt, ist hinterher ein anderer Mensch – das mag vielleicht zu weit gegriffen sein, aber „Schuld“ stößt etwas an, trifft einen mit voller Wucht. Wie eine Seite, die gezupft wird, klingt es nach in uns. Wie würden wir uns selber verhalten, vor allem, wie würden wir urteilen? Auf diese Fragen gibt das Buch keine Antwort, und das macht es zu etwas besonderem.
„Schuld“ und auf das erste Buch „Verbrechen“ des Autors sind zwei Bücher, die man gelesen haben muss. Für Autoren ist die Art, wie von Schirach schreibt, vorbildlich.