Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Therapie für Spiel des Jahres

Früher war alles besser — Zumindest im Hinblick auf die Nominierungslisten scheint das zu gelten.

Heute Morgen wurde die Nominierungsliste für das Spiel des Jahres 2020 bekannt gegeben. Kein Angebot einer Therapie für Nichtspieler.

Kein guter Jahrgang

Zum zweiten Frühstück gab es heute eine Meldung zur diesjährigen SPIEL in Essen. Sie wurde seitens des Veranstalters aufgrund der Corona-Krise abgesagt. Das ist nicht nur für viele Brettspielerinnen und Brettspieler bedauerlich. Aber ist verständlich und nachvollziehbar. Sofort wurden Stimmen laut, dass man sich doch hätte noch etwas Zeit lassen können mit der Absage. Bis zum Herbst sei schließlich noch eine Menge Zeit. Für Besucher mag das stimmen, für Aussteller sieht das Ganze aber leicht anders aus. Sie benötigen Planungssicherheit. Kosten und Aufwand sind nicht ohne, da kann man nicht mal eben ein paar Wochen vorher abspringen.

Es sollte auch deutlich sein, wie hoch das Risiko bei der SPIEL gewesen wäre. Wir reden hier nicht über eine kleine Veranstaltung mit lediglich lokaler Reichweite, sondern von einer internationalen Messe. Sowohl Aussteller aus auch Besucher kommen von weltweit her. Unter den aktuellen Bedingungen kann man sich nicht vorstellen, wie die Erfüllung der derzeit geltenden Auflagen hätten erfüllt werden sollen.

Wie dem auch sei, trotz der Absage dieser Leitmesse muss wohl keiner von uns in Therapie. Freuen wir uns einfach auf das nächste Jahr. Etwas anders sieht es beim Preis „Spiel des Jahres aus“— hier gibt es ganz offensichtlich erheblichen Therapiebedarf.

Missachtung der Abstandsregeln beim spielen

Missachtung der Abstandsregeln beim spielen

Ein Preis für die Therapie

Meiner persönlichen Meinung nach ist die Auszeichnung „Spiel des Jahres schon länger ein Preis, der eine Therapie dringend nötig hätte. Immer deutlicher werden die Symptome, dass er an den Brettspielerinnen und Brettspielern vorbei zielt und eine diffuse Zielgruppe im Auge hat.

Schauen wir uns mal die beiden Nominierungslisten (die Kinderspiele lassen wir außen vor) näher an. Beim roten Pöppel sieht es wie folgt aus:

  • My City von Reiner Knizia
  • Nova Luna von Uwe Rosenberg
  • Pictures von Daniela und Christian Stöhr

 

Ähm, bitte was? Ein Legacy Legespiel, ein Legespiel und eine Art Ratespiel. Das klingt nicht nur so, es ist definitiv nichts Innovatives auf der Liste zu finden. Besonders erschreckend wird es, wenn man sich die Empfehlungsliste anschaut. Darauf finden sich nämlich gleich mehrere Titel, die erheblich mehr Spaß machen. Zum Beispiel Kitchen Rush oder Draftosaurus. Ein wirklich geeigneter Kandidat gerade auch zum Spiel des Jahres wäre Little Town gewesen. Ein Türöffner für Nichtspieler und genau eigentlich das, was sich die Jury auf die Fahne geschrieben hat.

Dilemma beim Kennerspiel

Mindestens genau so groß ist das Dilemma beim Kennerspiel. Dort stehen drei Titel auf der Liste, die viele Fragezeichen hinterlassen:

  • Der Kartograph von Jordy Adan
  • Die Crew von Thomas Sing
  • The King’s Dilemma von Lorenzo Silva, Hjalmar Hach und Carlo Burelli

 

Die ersten beiden Titel scheinen sich verlaufen zu haben. Sie gehören, so wie ich das sehe, zum roten Pöppel. Beides ohne Frage gute Spiele. Dabei wäre „Die Crew“ mein Favorit für das Spiel des Jahres gewesen.

Was „The King’s Dilemma“ angeht — auch ein gutes Spiel, aber sehr speziell. Meiner Meinung nach brauch es eine Gruppe, die sich darauf einlässt. Auf Grund der der Natur des Spieles (Legacy-Spiel mit starker Erzählung und interessanten moralischen Entscheidungen) auch eine Gruppe, die von Anfang bis Ende durchhält. Von Quintin Smith gibt es dazu ein gutes Video. Ich halte es für ein Expertenspiel, welches idealerweise in voller Besetzung mit fünf Spielern auf den Tisch kommt. Auf Liste ist es fehl am Platz.

Im Bereich der Empfehlungsliste findet sich dann noch unter anderem „Paladine des Westfrankenreichs“— es wäre zurecht ein Kennerspiel, aber der Jahrgang hat bessere hervorgebracht. Wo ist zum Beispiel Tiny Towns? Tolles Material, abwechslungsreich, einfach zu erklären aber nicht einfach zu meistern.

Um die Verhaltensempfehlung für dieses Jahr aufzugreifen: Die Listen sind mit Abstand das Schlechteste, was mir bisher untergekommen ist. Belanglos, beliebig. Möglicherweise die Richtung, die auch der Preis selber einschlägt. Es sein denn, er begibt sich in Therapie und besinnt sich drauf, was er leisten könnte.

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