Langsam stellt sich bei mir der Eindruck ein, bei der SPD entstünde eine neue Tradition. Solange um die Kanzlerkandidatur herumreden, bis man sämtlich in Frage kommenden Option madig und sich selber unglaubwürdig gemacht hat. Der derzeitige Eiertanz „nicht vor Januar 2017“ ist schwer nachvollziehbar.
Möchte man den politischen Gegner im Unklaren lassen oder sucht man hinter den Kulissen verzweifelt nach einer Lösung? Wie ein Mantra wiederholt man, der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel sei der natürliche Kandidat und habe als erster Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur — selbst wenn der dafür wenig geeignet ist und kein Wahlergebnis einfahren würde, mit dem die SPD aus dem Schatten ihrer selbst heraustritt.
Gabriel mag ich nicht und ich wäre auch froh, würde er nicht Kandidat meiner Partei werden. Das liebt aber erstmal nicht in meiner Hand — später dazu mehr. Martin Schulz ist für mich ebenfalls keine Alternative. Zwei Namen, ein Amt und unterschiedliche Stimmen unter den Genossen, die sich mal für den einen mal für den anderen Aussprechen. An der Basis dürfte Schulz mehr Menschen für sich gewinnen als Gabriel.
Wenn es stimmt was kolportiert wird, dann verstehen sich Gabriel und Schulz recht gut. Gerade deshalb irritiert mich, dass ausgerechnet Sigmar Gabriel einen dritten Namen ins Spiel bring. Auf einem Parteitag am vergangene Freitag in Duisburg warf er Olaf Scholz (Erster Bürgermeister von Hamburg) in den Ring. Hätte das ein unbeteiligtes Parteimitglied getan, ok. Aber wenn ein potentieller Kandidat eine weitere Alternative ins Gespräch bringt, dann vermute zumindest ich einen Hintergedanken. Entweder will Gabriel von sich ablenken, weil er die Aufgabe scheut. Oder er will mit dem Hinweis auf eine dritte Option die Position von Schulz zu seinen Gunsten schwächen.
Vermutlich ist Gabriel einfach nur vorlaut nach vorne geprescht — ein Talent, welches er ausreichend gut beherrscht. Schulz und Scholz erinnern mich ein klein wenig an Schulze und Schultze aus den „Tim und Struppi“ Büchern. In Wirklichkeit aber haben Schulz und Scholz wenig gemeinsam. Wenn man den Faktor „Telegen“ als Maßstab nehmen würde, von allen drei möglichen Kanzlerkandidaten (dass sie tatsächlich ins Amt kommen, ist ja noch ein ganz anderes Thema) ist Scholz noch derjenige, der die beste Figur macht und am wenigsten Verbraucht wirkt.
Zumindest ich müsste, würde er kandidieren, meine derzeitige Verweigerungshaltung überdenken. Meine persönliche Favoritin, Malu Dreyer, steht ja leider nicht zur Auswahl. Und eine richtige Auswahl, ein basisdemokratisches Mitentscheiden fehlt ja leider in der SPD. Denn das wäre, gerade in der derzeitigen Situation, das Beste. Statt den Kandidaten im Hinterzimmer auszukungeln stimmen alle Mitglieder darüber ab.
Das es wieder auf eine Hinterzimmerentscheidung hinausläuft, dafür spricht auch das Signal, welches die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, heute aussendet. Sie ließ in Bezug auf den Kanzlerkandidaten der SPD gegenüber Journalisten verlauten „Ich weiß, wer es wird, aber ich sage es Ihnen nicht.“ Ganz ehrlich, liebe Hannelore, das ist peinlich.
2 Kommentare
Krafts Reaktion ist wieder ein gutes Beispiel dafür, wieso sich viele Leute von Politikern nicht ernst genommen fühlen. Ätschibätschi, ich sag es euch nicht. Okay, ätschibätschi, dann wähl ich die Person halt nicht.
Genau das ja. Was ich daran zusätzlich furchtbar finde: als SPD-Mitglied kommt man sich ziemlich auf den Arm genommen vor.