Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Bis zum bitteren Ende. Manchmal tue ich mir das wirklich an und lese weiter. Auch wenn ich bereits nach den ersten Kapiteln dann überzeugt bin, großen Mist vor mir zu haben. Das Beste, was ich über „Der Circle“ von Dave Eggers sagen kann: mir gefällt die Farbe des Covers. Alles andere, nun ja.

Fangen wir aber von vorne an. Das Buch stand längere Zeit auf der Bestenliste vom Spiegel. Das ist allerdings noch längst kein Qualitätskriterium, wie der Literaturkritiker Denis Scheck häufiger betont. Dem stimme ich vorbehaltlos zu, allerdings nicht seiner Einschätzung des Romans vom Oktober 2014.

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Ja, das Buch gibt es schon länger und ich bin erst jetzt dazu gekommen, es zu lesen. Im Übrigen ganz unabhängig von der Androhung, den Stoff zu verfilmen. Worum geht es im Buch? Um einen mächtigen Internetkonzern, der die Weltherrschaft anstrebt und die Menschen dazu bringen will, sich freiwillig total zu unterwerfen.

Alles Private ist Diebstahl

Hauptfigur ist die 24-jährige Mae Holland, eine Figur über die man sich nur aufregen kann. Sie ist mehr als nur naiv. Sie lernt aus ihren Fehlern, aber auf eine Art und Weise, die insbesondere am Ende überrascht. Der Circle ist ein dystopischer Roman, die Handlung nimmt kein gutes Ende, zumindest aus der Sicht des Lesers. Das Mae am Ende alles erreicht hat, macht die Sache umso schlimmer.

Teilen ist heilen

Im Roman werden ein paar interessante Thesen aufgeworfen. Thesen, die sich in einem Essay besser machen würden als in einem Roman. Dei Fragen, die Dave Eggers aufwirft, gehen uns alle etwas an. Sind Geheimnisse wirklich schädlich? Ist Privatheit Diebstahl und liegt unsere Erlösung wirklich in totaler Transparenz? Welche Folgen hat das für uns und die Gesellschaft?

Geheimnisse sind Lügen

Anders als beispielsweise George Orwell fehlt Eggers jedoch jegliche Form literarischen Talentes. „Der Circle“ zu lesen ist eine Qual.
Es ist einfach ein schlechter Roman aus dem an jeder erdenklichen Stelle Klischees tropfen. Der moralische Zeigefinger ist überdeutlich, der pädagogische Belehrungsversuch entnervend. Die Figuren sind dermaßen leblos, dass ein Zombie dagegen im Vergleich kerngesund wirkt. Stilistisch reicht das Talent von Eggers nicht mal an einen Schulaufsatz der Mittelstufe heran. Mit einem nur eingeschränkten Wortschatz und fehlender Bildsprache bleiben selbst potentielle eindrucksvolle Szenen austauschbare Kulissen.

Ijoma Mangold hat für „Die Zeit“ vor zwei Jahren eine kluge und wirklich lesenswerte Rezension geschrieben. In „Diese Welt ist neu, ist sie auch schön?“ Nimmt sie den Roman unter die Lupe und zeigt seine literarischen Schwächen auf. Genau daran scheinen andere Kritiker zu scheitern. Sie lassen sich durch die Thematik blenden, halten sie zu Recht für wichtig, ignorieren dabei jedoch den Rest. Ein Fehler, den meiner Meinung nach auch Denis Scheck begangen hat — entgegen seiner sonstigen Gewohnheit.

Eggers ist ein Autor mit Weltruhm. Mir ist schleierhaft, auf welchen literarischen Leistungen dieser Ruf beruht.

Noch mal: Das Thema des Buches ist wichtig. Aber ein wichtiges Thema allein reicht nicht aus, um einen guten Roman daraus zu machen. Die enorme Anzahl an negativen Stimmen von Lesern zum Beispiel bei amazon sind ein guter Hinweis, dass dem Hype um das Buch die Grundlage fehlt.

So, und jetzt kommen wir zu einer unappetitlichen „Nebensächlichkeit“, die soweit mir bekannt, den meisten Rezensenten völlig entgangen ist. Die Freundin der Hauptfigur, Annie, entstammt einer alteingesessenen Familie, die stolz ist auf ihre Wurzeln, die bis zur Mayflower zurück reichen. Im Rahmen eines Ahnenforschungsprojektes des Circles kommt jedoch zu Tage, dass Annies Familie eine sehr düstere Vergangenheit hat. Die Vorfahren waren im Sklavenhandel tätig. Sie verkauften sogar weiße Sklaven. Im Roman heisst es, dass die Briten irische Sklaven gehabt hätten. Menschen, die aus Irland verschleppt und verkauft wurden.

Die meisten Leser werden es wohl hingenommen haben. Man nimmt es auf, es sickert ins Bewusstsein und bei irgendeiner Gelegenheit taucht es dann unvermittelt auf — als Tatsache.
Fakt ist, es gab keine irischen Sklaven. Da Schlimme daran ist, dass sich Eggers so was nicht ausgedacht hat, sondern unkritisch beziehungsweise sogar bewusst auf einen Mythos zurück greift. Dieser wurde bewusst als Gegenschlag zur „Black Lives Matter“ Kampagne verbreitet, um das Leiden der farbigen Sklaven zu relativieren.

Die Behauptung, es habe irische Sklaven gegeben, ist ein gefährlicher Virus in „Der Circle“. Er macht das Buch bedenkenswert. Es gehört meiner Meinung nach nicht auf irgendeine Bestenliste, sondern ganz hinten in ein verstaubtes Regal. Eine Verfilmung hat das Buch erst recht nicht verdient.

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