Musik im Blut — manche Menschen haben so was. Bei mir ist Musik ein insgesamt schwieriges Thema. Selber musizieren oder sogar singen kommt für mich auf gar keinen Fall in Frage. Grund dafür ist, vermutlich habe ich das schon mal erzählt, ein Kindheitstrauma.
In der Grundschule musste jeder aus unserer Klasse vorsingen. Kritisch begutachtet von der Musiklehrerin, die dazu auf dem Klavier klimperte. Bei den anderen Kindern ging es glimpflich aus, selbst wenn sie nahe an der Grenze zur Talentfreiheit waren. Bei mir hieß es jedoch, sehr unpädagogisch: „Thomas, es ist besser für uns alle, wenn du nur leise im Hintergrund mit summst.
Reden wir nicht weiter darüber, jeder mit etwas mehr Mitgefühl als meine damalige Musiklehrerin kann sich ausmalen, welche Konsequenzen dieser eine Satz hatte.
Was den eigenen Musikgenuss angeht, bin ich eher ein Spätzünder. Erst in der 9. und 10. Klasse habe ich mich so langsam für das interessiert, was im Radio lief. Lange Jahre hatte ich lediglich einen Walkman (wirklich, ein Original). Erst in der Oberstufe entwickelte ich so etwas wie einen eigenen Musikgeschmack, erwarb meinen ersten CD-Player (wieder ein tragbares Gerät) und viel später eine kleine Anlage, deren Komponenten ich immer noch irgendwo im Keller habe.
Streaming-Musik ist für mich so was wie eine Erlösung. Ich kann Musik hören, die mir gefällt, ohne mir etwas zusammenstellen zu müssen. Wird alles automatisch für mich gemacht.
Viel Vorrede, um eigentlich nur eines deutlich zu machen: was Musik angeht, bin ich wirklich Laie. Ich kann sagen was mir gefällt (quer durch die Genres) und was mir nicht gefällt. Sollte ich das allerdings genauer begründen, komme ich bereits in Verlegenheit. Jahrelanger Musikunterricht ist tatsächlich spurlos an mir vorbei gegangen.
Trotzdem spüre ich, wenn jemand echtes Talent hat. Wenn er in der Lage ist, selbst aus eher mittelmäßigen Lieder etwas besonderes zu machen. Und wenn diese Person dann auch noch wirklich gute Stücke interpretiert, dann kommt es schonmal bei mir zu einem Anfall von Tränen und einer Gänsehaut, die mir über den Rücken läuft. Kommt nicht so oft vor, aber letzte Woche war es mal wieder soweit.
Das neue Album von Adele, und ihr Song „Hello“? Weit gefehlt. Der Song ist nett, nein eigentlich gut — zumindest meiner Meinung nach. Es kein Weltstar, sondern zwei ganz frische, bisher eher unbekannte Talente. Ohne Facebook und der Leidenschaft anderer, wirklich alles zu teilen, wäre ich wohl nie darauf aufmerksam geworden. Schuld daran ist meine beharrliche Weigerung, den heimischen Fernseher für das ansehen von Privatsender wie Pro 7 zu benutzen. Damit kannte ich auch das Format „The Voice of Germany“ nicht. Ehrlich, die Sendung ist mir nach wie vor egal, ich würde sie mir nicht ansehen. Aber es gibt ja das Internet und einzelnen Beiträge auf der Webseite des Senders.
Zurück zu den Talenten. Zwei Namen, die man sich merken sollte: Jamie-Lee Kriewitz und Denise Beiler. Ganz große Klasse, die beiden Sängerinnen.
Von Jamie-Lee Kriewitz hörte ich zuerst „Berlin“ (man muss etwas Werbung über sich ergehen lassen, bevor man zuhören darf), danach „The hanging Tree“. Etwas später dann von Denise Beiler ihre Interpretation von „Eye of the Needle“.
Beiden Frauen wünsche aus ganzen Herzen allen erdenklich Erfolg — und für mich, dass ich ihre Alben bald irgendwo kaufen oder streamen kann.
Gleichzeitig frage ich mich allen ernstes, warum man angesichts solcher Talente überhaupt über den ESC und angeblich erfolgreiche Sänger diskutiert. Sowohl Kriewitz als auch Beiler würden 2016 in Stockholm abräumen und das Feld weite hinter sich lassen. Wenn die beiden singen, lässt das nur Menschen kalt, die ehedem keine Gefühle haben.