In medias res: Über den narrativen Haken im Buch „Batmans Schönheit“ und wie leicht es ist, den Leser in Bezug auf einen guten Kriminalroman in die Irre zu führen. Ein ungewöhnlicher Einstieg für eine Rezension. Vielleicht ähnlich ungewöhnlich wie der Anfang des Buches „Batmans Schönheit“ von Heinrich Steinfest. Der Krimi, Chengs letzter Fall, beginnt folgendermaßen:
Das Thermometer an der Wand zeigte auf die Vierundzwanzig, die Uhr auf der Kommode zeigte auf die Drei, der Kalender in der Küche zeigte auf die Zwölf, der Wärmeregler drüben im Schlafzimmer zeigte auf Aus. Hätte Ernest mitgezählt gehabt, dann hätte er gewußt, daß die Summe der Projektile, die in seinen Körper eingedrungen waren, auf die Fünf zeigte. Aber wer, bitteschön, zählt schon mit, wenn man auf ihn schießt? Das müßte dann schon ein extrem zahlenbewußter Mensch sein.
aus: „Batmans Schönheit“ von Heinrich Steinfest
Im Rahmen der lit.cologne lerne ich 2012 zum ersten Mal Heinrich Steinfest und seinen einarmigen Privatdetektiv Markus Cheng kennen. Ein Werkstattgespräch, bei dem Steinfest quasi aus dem Nähkästchen plauderte. Er gehört zu den Autoren, zumindest behauptet Steinfest das, die nicht plotten. Sein neustes Buch, „Der Allesforscher„, gerade neu erschienen, machte mich vor ein paar Wochen wider neugierig auf den Autor. Aus der Stadtbibliothek lieh ich mir parallel dazu, um die neue Onleihe App zu testen, „Batmans Schönheit“ als Hörbuch. Die ersten, oben zitiertem Sätze faszinierten mich so sehr, dass ich den krimi als Buch unbedingt weiter lesen wollte. Dank digitaler Einkaufsmöglichkeiten stellt so was auch an Wochenenden und Feiertagen kein Problem dar.
Aus der Cheng-Reihe hatte ich vor keinen Krimi gelesen, entsprechend unvorbereitet aber auch unvoreingenommen ging ich an das Buch heran. Es fängt fast dem Ende an, als ein verhinderter Künstler, der später lediglich Red genannt wird, auf eine ungewöhnliche Art zu Tode kommt. Am Ende des Buches, während sich der Blick des Sterbenden getrübt hat, sieht man als Leser etwas klarer. Zumindest weiß man, wieso Red sterben musste. Dazwischen begleitet einen eine literarisch anmutenden Sprache immer tiefer in den Kaninchenbau hinein. Das, was zuerst wie ein anspruchsvoller Krimi daherkommt, verliert sich zuerst auf der Meta-Ebene, wenn Steinfest seine Figur über das Schreiben von Krimis philosophieren lässt,
Ich habe nichts gegen das Genre an sich«, erklärte der Buchhändler, »sondern gegen die Leute, die in diesem Genre wüten. Kaum fühlt sich einer imstande, einen halbwegs geraden Satz zu bilden, meint er, Kriminalromane schreiben zu müssen. Warum eigentlich? Warum lockt der Krimi die Minderbemittelten und Minderbegabten, deren Kunst sich im Abfassen halbwegs gerader Sätze erschöpft?«
aus: „Batmans Schönheit“ von Heinrich Steinfest
wechselt an mehreren Stellen in die Pop-Kultur und schmückt sich mit Zitaten aus bekannten Filmen,
Ganz in der Art des zum Angriff bereiten Raumschiffgenerals aus Luc Bessons Film Das fünfte Element, der auf den Einwand des Präsidenten der Vereinigten Territorien: »Staedert, ich habe Bedenken« antwortet: »Mr. President, ich nicht.«
aus: „Batmans Schönheit“ von Heinrich Steinfest
und schließlich landet gänzlich bei einer Maskerade, bei innerhalb der Handlung Bücher von Cheng auftauchen, die sich an dem realen Cheng, den der Leser über die Schulter schauend begleitet über die Merkwürdigkeit des Autors nachdenkt, der den fiktiven Cheng Sachen angedichtet hat, die so nicht stimmen würden. Man kann so was Kunst nennen. Oder aber eine sehr skurrile Geschichte, die leider je weiter man im Buch vorankommt, immer träger erzählt wird. Von „außergewöhnlich“ kommt man irgendwann zu „absurd“. Möglicherweise wurde von Steinfest verlangt, einen weiteren Cheng-Krimi zu schreiben, etwas zu dem er keine Lust mehr hatte. Der Autor als Müllmann, vielleicht trifft das folgende auch auf Steinfest selber zu:
Nein, er stellte sich vor, daß die Leute, welche Bücher schrieben, den Müll neutralisierten. Nicht in der banalen Weise, wie gesagt wird, daß jemand anstatt einen Mord zu begehen lieber über ihn schreibt. Schriftsteller entsorgten nicht nur die eigenen Ängste und Phantasien und Sehnsüchte, sondern auch die kollektiven, den Müll insgesamt oder wenigstens große Berge davon.
aus: „Batmans Schönheit“ von Heinrich Steinfest
Zugegeben, mit der Meta-Ebene und der dürftigen Handlung, die einer dreifach gestreckten Brühe entsprechen würde, könnte man sich als Leser noch arrangieren — obwohl der verzögerte Auftragsmord, um den es geht, alles andere als spannend ist. Was mir aber wirklich die Kinnlade herunterfallen ließ ist die Sache mit den Engeln und die Rolle, die Cheng im Krieg der Engel spielt. Das ist kein Krimi mehr, sondern ein billiger Fantasy-Roman. Sprach gut formulierter Schund, könnte man fast behaupten. Eine Mogelpackung. Aber das verheimlicht selbst das Buchcover nicht, denn darauf ist ein Goldfisch abgebildet. Batman jedoch ist kein Goldfisch, im ganzen Buch kommt kein einziger Goldfisch vor, sondern ein Urzeitkrebs.
Der Krimi, ein Urzeitkrebs. Schon so alt, dass es für manche Autoren wird, zu neuen Ufern aufzubrechen. Möglicherweise erklärt es, warum das neue Buch von Heinrich Steinfest kein Krimi ist. Verschweigen wird, warum man Leser so hinter Licht führen muss. Als Leser und Autor freilich lernt man, dass ein verdammt guter narrativer Haken noch lange keine Garantie für den folgenden Rest ist.