Kalle Gerigk, „Maskottchen“ der Anti-Gentrifizierung-Bewegung, wurde gestern final zwangsgeräumt. Möglich wurde das trotz Demonstranten und Sitzblockaden durch ein massives Polizeiaufgebot. Ganz nüchtern betrachtet wurde ein rechtsgültiges Urteil vollstreckt, die Räumung der Wohnung vollzogen, so dass der neue Eigentümer diese sanieren kann um anschließend selber dort einzuziehen — nur abgesehen davon, dass letzteres außer der Richter und ein paar andere Gestalten wohl niemand ernsthaft glauben wird. Die Wohnung, in der Gerigk seit 30 Jahren wohnte und das zu einer Miete von monatlich 325 Euro, wurde bereits im Internet für zu einem Kaufpreis von rund 500.000 Euro inserierte. Nur um auf andere Angebote aufmerksam zu machen, behauptet der Eigentümer. An so was kann man genau so wie an den Osterhasen glauben.
Die Wirklichkeit gerade im Agnesviertel in Köln, sieht ganz anders aus. Für mich ist das nicht bloße Theorie, sondern ich kenne es aus eigener Erfahrung. Mit der ersten Wohnung in Köln hatten meine Frau und ich nämlich genau so einen Fall selber, allerdings aus der umgekehrten Perspektive. Wir zogen, als wir nach Köln kamen, in eine 90 m2 große Wohnung in einem Haus aus den 50er-Jahren ein. Die Wohnung wirkte saniert, wir zahlten daher eine deutlich höhere Miete als die anderen Nachbarn im Haus.
Längere Fußnote dazu: Tatsächlich war die Wohnung nur sehr lausig saniert und der Eigentümer eher daran interessiert, schnell an unser Geld zu kommen, aber das ist dann eine ganz andere Geschichte.
Jedenfalls, in den zwei Jahren, die wir im Agnesviertel wohnten, haben wir einen Teil des Wandels dieses Stadtteils (Kölsch: Veedel) erschreckend gut mitbekommen. Wenn man in einem Straßenzug nur etwas länger stehen bleibt und sich die Schuhe zubindet, kann man geradezu sehen, wie sich die Gentrifizierung vollzieht. Das hört sich übertrieben an, aber das Viertel ist wirklich stark im Wandel — deutlich zu spüren auch an den Immobilien- und Mietpreisen. Nachvollziehen kann ich das für meinen Teil nicht, denn die Luft im Agnesviertel ist wesentlich schlechter als hier in Nippes. Aber das nur am Rande.
Zurück zu Kalle und zur Aktion „Alle für Kalle“. Das der Mann eine Symbolfigur geworden ist, der im In- und sogar Ausland Bekanntheit erlangte, wirkt zufällig. Genau das ist es auch, denn es hätte jeden anderen auch treffen können, der im Agnesviertel zur Miete wohnt. Aus diesem Grund heraus bekam Gerigk eben auch so viel Zuspruch und Unterstützung aus der Nachbarschaft. So was finde ich grundsätzlich sympathisch, alles weniger die Plakate, die illegal überall im öffentlich Raum in Köln geklebt wurden. Es wäre auch nichts gewonnen worden, wenn Gerigk in seiner alten Wohnung hätte wohnen bleiben können. Vermieter habe auch andere, deutlich unfeinere Methoden, einem Mieter das Leben schwer zu machen — alles immer am Rande der Legalität.
Nein, das grundsätzliche Probleme für Städte wie Köln ist die Gentrifizierung von Stadtteilen verbunden mit einem Mangel an Wohnraum. Verschärft wird das auch noch durch eine Zunahme der Einwohner. Menschen mit geringerem Einkommen werden an den Rand gedrängt. Das lässt sich nicht mit einer Sitzblockade lösen, sondern nur auf politischem Weg. Eine Mietpreisbremse klingt wie ein guter Ansatz, dürfte aber in der Realität nicht ausreichen. Zumal Kalle Gerigk davon nicht profitiert hätte. Es muss deutlich mehr Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Vor allem Wohnraum, der auch realistisch bezahlbar ist. Sowohl für untere als auch mittlere Einkommensschichten.