„Sein linkes Auge zuckte mehrmals. ‚Raise.‘ Mehr als die Hälfte seiner verbleibenden Chips wanderten in die Mitte des Spieltisches. Mit der Zunge fuhr er über die Oberlippe.“
Beim Pokerspiel kann es um viel, manchmal sogar um alles gehen. Einige Spieler neigen dazu, ihren Einsatz zu erhöhen, selbst wenn sie bereits die sich abzeichnenden Niederlage erahnen. Menschen unterstützen ein Vorhaben mit noch mehr Ressourcen, obwohl das Projekt zum scheitern verurteilt ist.
Dahinter steckt der Gedanke, den bisherigen Einsatz zu verlieren, wenn man gerade jetzt abspringt. Dabei wird das Risiko nicht kleiner, sondern höher. Auf diesem Prinzip basieren auch eine Reihe dubioser Gewinnspiele.
Das Verhalten eignet sich hervorragend für Romanfiguren. Die Figur in einem Krimi wird zunächst mit einer Kleinigkeit geködert. Sie glaubt an das schnelle Geld und investiert. Dann bekommt sie zu hören, dass mehr Geld erforderlich ist, damit die Gewinnschwelle erreicht wird. Also investiert sie weiter. Und weiter, bis sie ihre eigene Existenz gefährdet.
Auch auf andere Ebene lässt sich nach dem Prinzip verfahren. Überfall auf einen Kiosk. Der Besitzer wehrt sich. Der Täter wendet Gewalt an, der Besitzer geht zu Boden. Polizeisirenen. Ohne zu wissen, was mit dem Opfer ist, stürzt der Täter in Panik nach draussen, hält eine Autofahrerin an, bemächtigt sich des Fahrzeugs und nimmt die Frau als Geisel.
Kein aus der Luft gegriffenes Bespiel, sondern in ähnlich Form bereits häufiger passiert. Bei dieser Kette geht es auch darum, wie der Einsatz mit jedem weiteren Schritt erhöht wird. Der Täter will es vermeiden, gefasst zu werden. Aufgeben ist keine Option für ihn, also muss weiter machen. Dabei steigert er sich. Er wird brutaler und rücksichtsloser werden. Bis er dann mit dem Rücken zur Wand steht und keinen Ausweg mehr sieht. In so einer Situation wird der Täter unberechenbar, wie ein Tier in der Falle.
Die Unberechenbarkeit dessen, was die Figur machen wird, sorgt für Spannung beim Leser. Gleichzeitig stellt eine solche Szene den Autor vor einer Herausforderung, denn er muss das gegebene Versprechen einlösen. Der Täter kann jetzt nicht einfach aufgeben. Der Showdown muss entsprechend packend sein. Denn mit jedem Schritt, den die Figur machte, hat auch der Autor selber den Einsatz erhöht. So viel wie bei seiner Figur steht nicht auf dem Spiel. Er verliert weder Leben noch Freiheit, sondern gilt nur als Langweiler.
Anders betrachtet bedeutet „den Einsatz“ erhöhen für Autoren die Planung der Geschichte die sie erzählen wollen. Einzelne, aufeinander aufbauende Stufen führen zum Höhepunkt. Wer weiss, wie der Schluss aussehen soll, kann den Weg dorthin besser planen.
In „Literarisches Schreiben“ von Lajos Egri findet sich dazu ein Mann namens Otto.
Nennen wir den Mann Otto. Otto wird einmal seine Frau umbringen.
In „Literarisches Schreiben“ von Lajos Egri
Egri zeigt am Beispiel von Otto, wie es dazu kommen wird. Stück für Stück nimmt die Figur beginnend mit ihrer Kindheit die Stufen, die sie genau zu dem Punkt führen, den Egri als Autor vorgesehen hat.