Über ein Jahr ist es her, genauer gesagt war es der 4. Februar 2011, als DER CHEF und ich auf einer Lesung von Joachim Geil (der heisst wirklich so) in der Agnesbuchhandlung waren. Der Autor las aus seinem Erstlingswerk „Heimaturlaub“.
Die Handlung ist recht schnell umrissen. Der junge Leutnant Dieter Thomas hat im Sommer 1944 eine Woche Heimaturlaub. Von der Ostfront und dem, was er dort erlebt hat, versucht er sich in der pfälzischen Provinz zu erholen. Während sein Großvater, ein Pfarrer im Ruhestand, im Sterben liegt und Thomas versucht, zum desertieren zu überreden, vertieft Leutnant seine Romanze mit Heidi, einer glühenden Nationalsozialistin. Immer wieder verfolgen Thomas die Erlebnisse in der Ukraine, wo er sich in ein junges Mädchen verliebt hatte. Nach einem „Partisanenüberfall“ wird Maschenka von dem Kameraden aufgegriffen und vergewaltigt. Als letzter darf Thomas ran, der den einzigen Ausweg darin sieht, die Frau zu erschiessen, im Glauben, ihr einen Gefallen damit getan zu haben.
Erst vor drei Wochen viel mir das Buch wieder in die Hände, da es auf dem Bücherstapel der ungelesenen Werke recht weit unten lag. Am Wochenende schließlich hatte ich es durchgelesen. Es lässt mich zurück mit einem Gefühl der Verstörung, welches nicht nur vor dem herrührt, was Geil geschrieben hat. Bei seiner Lesung damals waren die Passagen, die er vortrug, intensiv und von einer eindringlichen Tiefe – das hatte auch zum Kauf des Buches geführt.
In eine Reihe mit „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque würde ich, so wie es jemand in einer Kundenrezension bei Amazon gemacht hat, es nicht stellen. Genauso wenig würde ich es als besonders schlecht oder gar als „Betroffenheitsmist“ bezeichnen. Das Buch hat durchaus seine Berechtigung und auch seine Stärken. Es gelingt Geil, die beklemmende Atmosphäre in der Provinz sehr gut darzustellen.
Eine der größten Schwächen des Romans ist der auktoriale Erzähler in der Gegenwart, der auf den ihn unbekannten im Krieg gefallenen Onkel und seine Briefe stößt. Man fragt sich immer wieder, aus welchem Grund Geil diese zusätzliche Ebene verwendet hat. Sich selbst und dem Buch hat er damit keinen Gefallen getan. Auch an anderer Stelle ist der Roman problematisch, nämlich genau an den wichtigen Szenen, die an der Ostfront spielen. Während man die gesamte Detailfülle des pfälzischen Bergzabern vor Augen hat, bleibt das ukrainische Dorf „Malaja Irgendwas“ genau das, ein Irgendwas. Es wirkt unglaubwürdig.
Zahlreiche Sprünge durchbrechen die Handlung und führen den Leser an die Grenzen der Überforderung. Die Stärken des Buches werden so leichtfertig aufs Spiel gesetzt und das hat sicherlich bei einigen Leser zu Enttäuschungen geführt. Die Ambitionen des Autors in allen Ehren, aber den Geschmack, dass der Roman stark konstruiert ist, wird man leider nach der Lektüren nicht los. Offen bleibt auch die Frage, was Geil Neues zur Diskussion um Schuld und Verstrickung beitragen kann. Und die Frage ist durchaus berechtigt, da einem der moralische Diskurs aufgedrängt wird.
Fazit: Eines zu finden, fällt mir in diesem Fall schwer. Einerseits gibt es starke Bilder, die lange hängen bleiben (auch wenn einem so manche Szene die Leselaune verdirbt, weil die Symbolik zu abgenutzt ist, wie zum Beispiel das Farbspiel von Grün und Schwarz im Arbeitszimmer des Großvaters, wo Thomas für einen Moment seine schlafende Großmutter beobachtet). Auf der anderen Seite gibt es wirklich gravierende Mängel in der Erzählweise. Der sperrige Sprachstil tut sein Übriges dazu. Man kann das Buch lesen, muss man aber nicht. Kein Fazit und daher letztendlich unbefriedigend wie das Buch.