Fast ein Jahr ist die Veranstaltung „Mörderisches Vergnügen“ her, kommenden Samstag wird sie wieder statt finden. Letztes Jahr hat mir ein Autor besonders gut gefallen, der ohne viel Pathos aus seinem Buch vorgetragen hatte.
Vorgetragen, dass ist genau das richtige Wort für Jörgen Nießen und „Schauen sie sich mal diese Sauerei an“. Geschichten aus dem Leben eines Rettungssanitäters. Nach so langer Zeit habe ich das Buch endlich auch mal selber gelesen. Der Witz, der sich durch die lebendige Darstellung der Figuren ergab, war noch leicht zu spüren. Zumindest in den Texten, die Nießen gelesen hatte. Damals hieß es auch, Nießen hätte erst gar keinen Verlag für sein Buch gefunden, was mir, der gerade einen gute Geschichte gehört hatte, unverständlich vorkam.
Mit nicht nur etwas Abstand muss ich jedoch leider sagen, dass zwischen nur hören und selber lesen ein beachtlicher Unterschied liegt. Mit einer der Gründe, warum ich mit Hörbüchern nicht warm werde, da ich selber den Text lesen muss, um richtig in ihn abtauchen zu können. Zudem lässt sich seine Qualität wirklich nur beim lesen erfassen. Und genau da liegt auch schon mein Problem, welches ich mit „Schauen sie sich mal diese Sauerei an“ habe. Jede Geschichte für sich genommen lässt sich gut nebenbei lesen, trotz der teilweise tragischen Umstände, um die es darin zum teil geht. Aber die Texte haben mehr den Charakter von Anekdoten. Jede für sich ganz nett, aber 20 Stück gesammelt in einem Buch ergeben genau das nicht: ein Buch. Es bleibt eine Sammlung von Texten. Bei Kurzgeschichten Anthologien oder einem Buch mit Krimis eines Autors hat man auch nur einzelne Geschichten vor sich, richtig. Der Unterschied dabei ist jedoch, dass es sich dabei nicht nur um fiktionale Texte handelt, sondern in den meisten Fällen auch um literarische Texte – unabhängig davon, wie man jetzt Literatur definiert und ob man in U und E unterteilt.
Bei Nießen fehlt meiner Meinung nach das gewisse Quantum, um aus den Texten Literatur zu machen:
Alarmfahrten werden irgendwann zur Routine, ja fast langweilig. Hat man im Zivildienst noch vor Glück gesabbert, wenn man mit Blaulicht und akustischer Warneinrichtung eine rote Ampel überfahren hat, so stellt sich doch irgendwann Gewohnheit ein.
Man möge mich nicht falsch verstehen, Nießen ist sicher ein netter Kerl und das letzte, wenn ich in eines Tages in einem Rettungswagen liegen sollte, wäre ihm ins Gesicht zu sagen, dass mir sein Buch überhaupt nicht gefallen habe. Es hat mir nämlich gefallen. Aber es erfüllt einfach nicht meinen Anspruch. Es fehlt nicht nur der letzte Schliff. Vielleicht liegt mein Eindruck auch daran, dass Nießen den Plauderton seiner Texte an nicht wenigen Stellen durch die direkte Ansprache des Lesers verstärkt.
Insgesamt beschleicht mich ein Gefühl des Bedauerns bei „Schauen sie sich mal diese Sauerei an“. Man hätte so viel mehr daraus machen können. Den eines ist Nießen auf jeden Fall: ein sehr guter Beobachter. Die Figuren sind gut getroffen und nicht nur zweidimensionalen Abziehbilder. Aus guten Figuren allein wird aber noch kein gutes Buch.
Fazit: Man kann das Buch lesen, aber es berührt einen nicht. „Das ist gut, haha, das solltest du mal aufschreiben und als Buch herausbringen.“ So sein Schenkelklopfer mag zwar ein guter Freund sein, aber aus so einem Ratschlag entsteht noch kein gutes Buch. Denn so was ist vor allen eins: verdammt harte Arbeit für den Autor.