Lassen wird das „Stellwerk 60“ aus dem ersten Teil der Kritik zu „Köln blutrot“ hinter uns und blicke auf den nächsten Krimi.
Mit „Nullinie“ ist Andreas Izquierdo, einer der Herausgeber, im Buch vertreten. Der Anfang der Gesichte ist recht merkwürdig, zeigt uns den kurzen Moment einer Schlägerei, dann die Verurteilung des Täters. Rasant im Präsens erzählt steuert sie auf einen sehr bewegenden Mittelteil zu. Ende könnte alles mit dem Satz „Kannste den Weg sparen, sag ich.“ Izquierdo will das offensichtlich nicht, will seine Figur bestrafen. Das sei ihm auch zugestanden, es ist seine Geschichte. Die nächste Ausfahrt „Dann nichts mehr.“ verpasst er allerdings auch. Noch gibt es eine letzte Möglichkeit, aber angetrieben vom Willen, seine Erzählung zu zerstören hält der Autor auch nicht bei „Und unterschreibt.“ Das Ergebnis: Totalschaden. Das Ende entwertet die ganze Geschichte. Unglaubwürdig. Enttäuschend. Zurück bleibt ein großes Fragezeichen. Was will uns der Autor sagen?
Vielleicht wusste Izquierdo schon um die nächste Geschichte in der Reihe, „Die Geschichte der Tellerwäscherin“ von Carsten Sebastian Henn. So blutleer wie diese ist, wollte Izquierdo wohl mit einem Übermaß an Blut Ausgleich schaffen. Wenn das seine Absicht gewesen war, so waren seine Bemühungen leider erfolglos. Henn erzählt von einer Frau, die sich vom ihren Mann getrennt hat. Dieser versucht sie durch Restaurantbesuche zu demütigen, lässt die feinsten Speisen zurückgehen, was für den Koch eine tödliche Beleidigung ist. So viel zum Plot. Obwohl das Essen in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen soll, riecht und schmeckt man nichts. Henn gelingt es nicht, sinnliche Eindrücke vor dem inneren Auge des Leser zu erzeugen. Mit einem Schulterzucken nimmt man das Ende des Romans hin. Na ja.
Was wäre es schön, wenn man das in Bezug auf „Code 3 – Helden vor Gericht“ von Hartwick Liedtke über die Lippen bringen könnte. Auch wenn es Liedtke im Verlauf seins Textes gelingt, die Distanz des Lesers zu seiner Gesichte etwas zu verringern, bleibt der Zugang insgesamt schwierig. Drei junge Brandstifter vor Gericht. Unmotiviert. Kein Mord. Der Lokalbezug ist wohl in den Flammen aufgegangen. Wobei das eigentlich nicht sein kann, denn es ein Feuer ohne Kraft, jegliche Spannung fehlt. Tschaka, Herr Liedtke. Es kann nur noch aufwärts gehen.
Für den Leser geht es allerdings erstmals weiter Abwärts. So schlecht ist „Die Vorzüge des Baggerns“ von Gibsert Haefs zwar nicht, aber sein Krimi enttäuscht letztendlich auch. Den tieferen Sinn der dem eigentlich Text vorangestellten Zitate wird wohl der Autor wissen. Dem normalen Leser erschließt er sich nicht. Dieser wundert sich nur über eine antiquierte Sprache und leicht schiefe Bilder („unarrangierten Lärms“). Die Entwicklung im Mittelteil vermag etwas Spannung erzeugen, lässt erahnen, das man aus der Idee hätte mehr machen können. Das Ende überzeugt nicht, das Motiv bleibt blass. Man fragt sich, warum die Mutter ermordet wurde. Vielleicht weil sie schlecht geschrieben hat? Schade um den Lokalbezug, dessen Potential Haefs verschenkt.
Nach so vielen Enttäuschungen sehnt man sich nach einer Geschichte, die berührt, unter die Haut geht. Das gelingt Kai Hensel mit „Ermahnungen für Sandra“ so unglaublich gut, dass der fehlende Lokalbezug völlig egal. Sein Text lässt den Leser mit Beklemmung zurück. Die Bilder bleibt intensiv lange im Kopf, quälen, erzeugen eine enorme Betroffenheit. Literarisch ist es der beste Text im ganzen Buch, hat einen eigenen Platz eins verdient. Anerkennend nickt man Hensel zu, will mehr von ihm lesen. Herausragender Autor.
Bis man nach dem Text von Hensel überhaupt wieder in der Lage ist, sich einem neuen zu zu wenden, dauert es etwas. So lange wirkt er noch nach. Letztendlich weiß man aber, es sind noch drei weitere Geschichten zu lesen. Sehr neumodisch kommt „Netzwerk“ von U.A.O. Heinlein daher. Abgedruckte fiktive E-Mails zwischen zwei seiner Figuren, dazwischen etwas Handlung. Man fragt sich, ob es wirklich notwendig ist, die Mails vollständig mit Absender und Betreff-Zeile (und Signatur) abzudrucken (riecht eher nach Seitenschinderei). Wichtig ist das nicht. Der Trick des Autors funktioniert auch nicht wirklich, denn die Figuren bleiben leblos. Das Ende ist eigenartig, es wird nichts wirklich erklärt. Das Einzige, was man als Leser weiß, ist die Vorliebe des Autors für „Think“-Schuhe. Mit den Lokalbezügen, die der Autor in die Geschichte einwebt, macht er sich auf jeden Fall angreifbar. Er versucht Authentizität zu schaffen. Die „Fakten“ lassen sich aber prüfen. Als Leser grübelt man darüber, was wahr ist und was erfunden. Das Ende des fiktionalen Traums.
Wer sich für Politik interessiert und gerne Wurst ist, sollte nicht zusehen, wie beides gemacht wird. So ähnlich hat das mal Otto von Bismarck gesagt. Daher will man von Angela Eßer nicht genau wissen, worin „Opas Geheimnis“ besteht. Zwar ist ihre Idee an sich nicht verkehrt, wirkt in der Umsetzung aber etwas zu abgedroschen. Die Figur der „Krankenschwester“ agiert über ihrer maximalen Figurenkapazität. Das Ende wirkt dabei wie eine Entschuldigung. Warum, fragt sich der Leser, kann man nicht mal das Böse einfach gewinnen lassen. Lasch.
Das „Kölner Finale“ von Sabina Naber ist das Finale des Buches – nicht sein Höhepunkt. Die Einschübe wirken merkwürdig, erschweren die Lesbarkeit. Mit etwas mehr Spannung hätte die Geschichte ihr Potential entfalten können. Am Ende winkt man selber auch nicht froh, sondern sehnt sich nach einem besseren Schluss. Ein Teddy als Trostpreis.
Mein persönliches Fazit zum Buch wäre, es sich trotz der vielen Kritik zu kaufen. Allein wegen drei Geschichten darin, die wirklich herausragen. Von den Autoren wünscht man sich auch, mehr zu lesen.
Ganz am Schluss noch ein Wort zu dem im Buch abgedruckten Illustrationen: überflüssig.
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