Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Am Dienstag Abend gab es einen Anschlag am Atatürk-Flughafen in Istanbul. Die Täter schossen zunächst um sich, zündeten dann Bomben, um sich und andere zu töten. Dabei gingen sie offensichtlich koordiniert vor und nutzen die Panik nach der ersten Explosion, um sich Zugang zum Sicherheitsbereich zu verschaffen und um weitere, nun fliehende Menschen zu töten.

olafpictures / Pixabay

Eine perfide Logik des Terrors, der insgesamt 42 Menschen zum Opfer vielen. Hinzu kommen noch mindestens 239 Verletzte. Es ist nicht der erste Anschlag in der Türkei, in vergangene zwölf Monaten gab es bereits acht Terroranschläge.

Anders als beispielsweise bei den beiden Anschlägen in Belgien Mitte März dieses Jahr fielen die Reaktionen in den sozialen Netzwerken spärlicher aus. Darüber kann man diskutieren. Aber auch über den Vorwurf. Ich las gestern bei Facebook folgendes:

Bei Paris und Brüssel war meine Timeline voll mit Meldungen. Selbst der Tod von Bud Spencer hat mehr aufsehen erregt, als der Terrorangriff in Istanbul gestern. Was ist bloß los mit den Menschen?! Sind wir schon so weit, das Terrorismus zum Alltag gehört?

Mich brachte das zum nachdenken. Selber hatte ich mich auch noch nicht zum Anschlag geäußert, sogar vernachlässigt, auf die eine oder andere Weise meine Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen.

In dem Zitat stecken meiner Meinung nach zwei Vorwürfe. Die Abstumpfung durch den fast schon alltäglich gewordenen Terrorismus. Das ist offensichtlich, aber auch falsch. Ein gleich gearteter Anschlag in sagen wir mal München hätte eine möglicherweise eine riesige Welle verursacht. Und genau das führt zum zweiten Vorwurf. Mehr oder weniger offen steht zwischen den Zeilen, unser wäre das was in der Türkei passiert, scheißegal. Weil wir Rassisten sind. Weil uns Türken egal sind. „Das da unten sind ja nur Wilde.“

Die Wirklichkeit ist viel komplizierter. Ich für meinen Teil habe mich zunächst bewusst zurückgehalten und auf eine sachliche Berichterstattung (wie in der Süddeutsche Zeitung) gewartet. Dafür gibt es gerade weil der Anschlag in der Türkei stattfand Gründe.

Selbstverständlich gehört mein Mitgefühl den Angehörigen und Überlebenden, den Opfern. Sie traf der Anschlag ohne Vorwarnung, ohne Schuld. Es hätte auch jeden anderen der zahlreichen Touristen treffen können genau so wie Einheimische.

Die Lage in der Türkei und das zeigt auch ein Blick auf die letzten Anschläge, ist jedoch alles andere als einfach. Natürlich ist Terror immer Terror. Nur sollte man sich etwas Zeit nehmen und die Mühe machen, näher hinzusehen. Zu schauen, wem genau der Anschlag wirklich nützt.

Es heisst, diesmal wäre die Terrormiliz Islamischer Staat verantwortlich — vermutlich. Bei den anderen Anschlägen waren es mal die Kurden, der IS und das eine oder andere Mal einfach niemand, der sich dazu bekannt hat. Man kann darüber wild spekulieren, auch wem der Terror in der Türkei nützt. In jedem Fall profitiert Präsident Recep Tayyip Erdoğan davon, denn er geht innenpolitisch gestärkt daraus hervor. Merkwürdig ist auch, wie die SZ schreibt, wie viel Mühen der Staat aufwendet, um Kritiker und Gegner von Erdoğan zu überwachen und zu verfolgen. Und wie wenig passiert, wenn es um den IS geht — jene Gruppe, die noch vor einiger Zeit indirekt von der Türkei unterstützt wurde.

Das die Kurden wieder Anschläge verübten, ist leider die traurige Konsequenz aus dem Umgang mit ihnen. Nach einer Phase der Liberalisierung, erstaunlicherweise auch unter Erdoğan, wird jetzt versucht sie mit harter Hand zu unterdrücken.

Es wäre unangebracht, der Türkei vorzuwerfen sie wäre selber Schuld am Anschlag in Istanbul. Der Anschlag wirft aber Fragen auf, die nach Antworten verlangen.

Jeder terroristische Akt, egal wo, ist eine Herausforderung. Wie reagiert man als Statt, wie als Bürger darauf? Jeder einzelne von uns kann nur seine Betroffenheit und Angst zum Ausdruck bringen. Wir können aber auch Fragen stellen. An uns, an unsere Regierung.

Fest steht unabdingbar: Jedes Menschenleben ist gleich viel Wert, jeder Mensch genau so wichtig wie der andere. Wen wir etwas zögern mit unserer Betroffenheit, liegt es nicht daran, dass wir die Gleichwertigkeit in Frage stellen.

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