Bildnis einer Figur
In einem der wohl bekanntesten Bücher untersagt der Protagonist die Erstellung eines Bildes von ihm. Das betrifft mit Moses, eine weitere Figur im Buch, nicht nur denjenigen, der Protokoll führt, sondern auch die Leser sind damit gemeint.
Dabei gelingt es wohl den wenigsten, genau das nicht zu machen. Genauso gut könnte man verlangen, beim lesen dieses Satzes nicht an einen Baum zu denken – es passiert einfach automatisch. Wenn wir ein Buch lesen, machen uns ein Bild von den handelnden Figuren, dass selbst dann von Leser zu Leser variieren kann, selbst wenn der Autor in epischer, mitunter nervtötender Länge sämtliche Details der Figur beschrieben hat. Sich ein Bild machen von den Figuren eines Romans ist allerdings nicht nur auf den Leser beschränkt. Auch der Autor macht sich ein Bild seiner Figuren, geplant oder ungeplant.
Beim NaNoWriMo lernt man immer wieder, wie unterschiedlich die Herangehensweisen der einzelne Teilnehmer sind. Wer zeichnen kann, fertig sich Bilder seiner Figuren an, andere schreiben die Wesensmerkmale ihr Figuren, während es auch welche gibt, die ausführliche Figurenbögen amfertigen. Obwohl mir meine Figuren sehr wichtig sind, habe ich gar nichts von dem. Zeichnen kann ich nicht, bei Figurenbögen bin ich mittlerweile der Meinung, dass sie besser im Rollenspiel als beim schreiben eines Romans aufgehoben sind und selbst bei Stichworten bin ich mitunter nachlässig. Wenn ich etwas aufschreibe, dann ein Detail der Figur, damit ich später wieder darauf zurück greifen kann.
Die Figuren selber tummeln sich alle in meinem Kopf. Ganz deutlich weiss ich, wie sie in bestimmten Situation reagieren würde, was sie hassen und was lieben. In den letzten drei Jahren habe ich vieles ausprobiert, umfangreiche Fragebögen zu meinen Figuren ausgefüllt und ähnliches Zeug. Für den aktuellen NaNoWriMo greife ich wieder auf das Verfahren zurück, was sich bei meiner ersten Teilnahme bewährt hat.
Ich setze auf die Magie der Namen. Jede im Verlauf der Handlung auftauchende Figur hat einen Namen, keinen Platzhalter, denn das würde bei mir nicht funktionieren. Der Name eine Figur ist für mich der Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit. Ergänzt wird das bei mir durch Fotos der wichtigsten handelnde Figuren, die ich mir via Bildersuche aus dem Internet besorge. Wenn es nichts gibt, was meiner Vorstellung entspricht, fertige ich auch schon mit elektronischer Hilfe eine Phantomzeichnung an.
Da mir die Namen wichtig sind, verwende ich darauf auch entsprechende Sorgfalt. Sie müssen in die Region passen, in der die Handlung spielt und sie sollten dem Alter der Figur entsprechen. Für eine gute Quelle halte ich nach wie vor die Todesanzeigen in der Lokalzeitung. Mitunter erhält man dabei sogar eine Ultrakurzbiographie. Darüber hinaus gibt es noch zwei aus meiner Sicht sehr empfehlenswerte Quellen. Eine Webseite mit den beliebtesten Vornamen von 1890 bis 2012 und das Online-Telefonbuch. Den Vornamen such man sich nach Jahrgang aus, den Nachnamen über die Region oder die Stadt, in der die Handlung spielt. Für besondere Figuren kann es dann auch mal ein ungewöhnlicher Name sein.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. In den meisten Romanen sind aber keine Bilder enthalten, die müssen schon im Kopf des Lesers entstehen. Aufgabe des Autors ist dabei, durch seinen Text es dem Leser so leicht wie möglich zu machen. Dabei bin ich davon überzeugt, dass ein Name ebenfalls mehr als tausend Worte aussagen kann.
Nur zögerlich überquerte Gertrud Gehrling die Straße.
Das wäre eine Figur, und eine ganz andere die hier:
Anna Becker entschied sich, heute auf Lipgloss zu verzichten.
Zumindest ich kann mir nach den beiden Sätzen die Figuren gut vorstellen und weiss auch, wie alt beide in etwa sind. Für den Leser eines Romans reicht das noch nicht aus, da müssten noch zusätzliche Hinweise fallen. Trotzdem ist es der Name, zu dem man auch im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder zurück kehrt. Kann sich der Leser den Namen gut merken, sorgt das auch gleichzeitig dafür, dass ihm die Figur vertrauter wird.