Von allen guten und bösen Geistern verlassen

An das Wahlprogramm der Piraten zu gelangen, war nicht einfach. Seit kommenden Montag habe ich es immer wieder versucht und bin dann heute, Stand 21:00, nur bei einer sogenannten Vorabversion gelandet. Aus ihr lässt sich aber meiner Meinung nach schon gut die Richtung erkennen, die die Piraten eingeschlagen haben.

Auch wenn die reine Statistik wenig Aussagekraft hat, kurz ein Blick auf den Umfang von dem, was die Piraten unter dem Punkt Bildung im Vergleich zu den anderen Parteien geschrieben haben:

    • FDP – 641 Wörter
    • SPD – 779 Wörter
    • Die Linke – 3.302
    • CDU – 772 Wörter
    • Grüne – 1.713 Wörter
    • Piraten – 5.247 Wörter

    Damit sind die Piraten unangefochtener quantitativer Spitzenreiter.

    Grundsätzlich muss man anerkennen, mit welcher Ernsthaftigkeit sie an das Thema Bildung herangegangen sind. Den Piraten zu unterstellen, sie wären eine reine Protest oder sogar Spaß-Partei, ist zumindest in Bezug auf das Thema Bildung unangebracht. Welchen Stellenwert das Thema hat, signalisieren sie allein auch schon dadurch, dass sie diesen Punkt an die oberste Stelle in ihrem Wahlprogramm gesetzt haben. Eine allgemeine Einleitung definiert, was die Piraten unter Bildung verstehen.

    Die Ideen der Piraten zum Thema in Bauch und Bogen zu verdammen, nur weil sie von den Piraten stammen, wäre beschämend. Die junge Partei hat einen Entwurf vorgelegt, über den man auf jeden Fall diskutieren sollte. Auch wenn es Punkte enthält, die mehr als nur strittig sein dürften, trägt ihr Konzept eine Handschrift, der man die ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema ansieht. Es wird öfter auf Studien verwiesen, was einen guten Eindruck hinterlässt – aus Behauptungen werden so fundierte Aussagen.

    An vielen Stellen wird auf die Schaffung und Bereitstellung von Online-Lernangeboten hingewiesen. Dabei wird „Online“ wie der Heilige Gral angepriesen. Software kann dabei aber nie Didaktik ersetzen, sondern allenfalls unterstützen.

    Auf Grund der Gesamtlänge bezieht sich die aufgeführten Bildungspositionen ausschließlich auf den Bereich Schule, nicht aber auf die Aussagen der Piraten zur Hochschulpolitik und zu den Volkshochschulen. Bei Interesse lassen sich diese Punkte jedoch an dieser Stelle selber nachlesen. Insbesondere die Beschäftigung auch mit den Volkshochschulen zeigt, wie ernst den Piraten ihr umfassender Bildungsbegriff ist.

    Bildungspositionen der Piraten

    • Anzahl der Absolventen mit Hochschulabschluss soll gesteigert werden
    • Definition von Bildung als Menschenrecht
    • Schaffung eines durchlässigen Schulsystem
    • Zugang zu Bildung soll unabhängig vom Einkommen sein
    • kein Schüler soll ohne Bildungsabschluss sein
    • Beibehaltung der allgemeinen Schulpflicht
    • Schaffung eine interkulturellen Bildungsangebots
    • Kostenfreier Zugang zur Bildung
    • Schulen sollen selbstverwaltete Einheiten werden
    • Abschaffung der Verbeamtung von Lehrkräften
    • Schaffung von pädagogischen Hochschulen für den Erzieherberuf
    • Ganztagsbetreuung der Schüler inklusiv Mittagessen und Lerngruppen
    • Vermeidung von Ausgrenzung
    • Festhalten an der vierjährigen Primarstufe; keine Aussage zur Sekundarschule
    • Klassengröße von maximal 15 Schüler in allen Schulstufen
    • Schaffung eines eingliedrigen Schulsystems
    • flexibles Kurssystem als Ergänzung und Alternative zum Klassensystem
    • externe zentrale Prüfung; also pro Zentralabitur
    • Verzicht auf Notengebung zugunsten einer Beschreibung der Kompetenzen
    • Vollständige Bezahlung der Lehrmittel durch den Staat
    • Umgestaltung der Schulen zu Lern- und Lebensräumen
    • konsequente Inklusion mit Rechtsanspruch; Rückbau der Förderschulen
    • Änderung des Grundgesetz, damit Bildung vollständig Bundessache wird

    Für das Festhalten an der allgemeinen Schulpflicht führen die Piraten nachvollziehbare Gründe an:

    In Form von Mitschülern, Lehrern und sonstigen Betreuern können die Kinder und Jugendlichen Ansprechpartner für Fragestellungen und Probleme finden, die durch die Lebensentwürfe der El­tern oder dem sozialen Umfeld abgelehnt oder tabuisiert.

    Das ist gut erkannt, so dass man dieser Position nur zustimmen kann. Auch wenn in den anderen Parteien der Punkt nicht explizit erwähnt wird, dürfte es dort ähnlich aussehen. Somit lehnen auch die Piraten Homeschooling ab.
    Bei den vielen Reformen, die die Piraten anstreben, hat sich bei ihnen eine Erkenntnis herausgebildet, die man auch den anderen Parteien wünschen würde – zumindest wäre es gut, wenn es eine so deutliche Aussage auch bei ihnen geben würde:

    Selbst die besten Reformvorschläge scheitern, wenn sie nicht von allen Beteiligten getra­gen werden.

    Die Aufwertung des Erzieherberufes durch eine Hochschulausbildung orientiert sich an Ländern wie Schweden, wo dies bereits längst der Fall ist. Eine solche Umstellung würde auch Deutschland gut zu Gesicht stehen, da hier zu Lande nicht nur die Bezahlung des pädagogischen Personals nach Lebensalter der Kinder erfolgt, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen entsprechend ist.

    Gepatzt wird bei den Piraten in Bezug auf die Primarstufe. Hier wird an der vierjährigen Dauer festgehalten. Warum nicht eine sechsjährige Grundschulzeit thematisiert wird, verwundert.

    Die Ergänzung des Klassensystems bis hin zur teilweisen Auflösung durch ein Kurssystem sollte parteiübergreifend und unabhängig von Schulformen diskutiert werden. Der Ansatz umschifft die Probleme, die durch G8 und G9 entstehen auf elegante Weise. Durch individuelles Lernen wird sowohl lernschwächer als auch lernstarken Kindern Rechnung getragen.

    Zwei Punkte bei den Bildungspositionen der Piraten fallen besonders auf. Die Befürwortung von zentralen Prüfungen (somit auch des Zentralabiturs) und die Forderung, die Bildungspolitik aus der Hand der Bundesländer in die Hände des Bundes zu übergeben, also die Abschaffung der bisherigen durch das Grundgesetz garantierten Kulturhoheit. Wer immer mit schulpflichtigen Kindern von einem Bundesland in ein anderes umziehen musste, wird sich dafür erwärmen können.

    Im direkten Vergleich zu den Bildungspositionen der Linkspartei ist bei den Piraten mehr Substanz und weniger Phantasterei vorhanden. Im abschließenden fünften Teil morgen erfolgt die direkte Gegenüberstellung der Aussagen aller Parteien und die Schlussbewertung.

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