Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Am Ende des ESC 2025 in Basel bleibt ein Gewinnersong für das Herz. Und ein Ohrwurm mit Potenzial für den Kopf.

ESC 2025 in der Schweiz

Bevor wir auf den ESC im Allgemeinen und Speziellen zu sprechen kommen, ein paar Worte zum diesjährigen Gastland. Das Wichtigste, was man über die Schweiz wissen sollte: Ihr Flagge ist nicht rechteckig, sondern quadratisch. So was erfährt man spätestens dann, wenn man eine Website mit Länder-Auswahl baut und alles rechteckig über einen Kamm schert. Was ihre Flagge angeht, sind die Eidgenossen etwas empfindlich. Ansonsten aber ist das Land ein echtes Juwel im Herzen von Europa und genauso teuer.

Heidi-Image, leckere Schokolade, pünktliche Züge — was sich wie Klischees anhört, stimmt tatsächlich. In meinem bisherigen Leben war ich genau dreimal in der Schweiz. Mit der Familie, mit dem Naturschutzbund und einmal alleine in Basel, ein sehr verrückte und spontane Aktion. In Basel fand dann der ESC 2025 satt, es war dann ebenfalls eine verrückte und spontane Aktion meiner Frau und mir, Samstag nach langer Pause mal wieder über drei Stunden vorm Fernseher zu sitzen und ESC zu schauen.

Ja richtig, wir haben uns den ESC tatsächlich wieder angesehen. Eine gewisse „Mitschuld“ trägt die Süddeutsche Zeitung, in der ich beim Abendessen einen Bericht über den ESC las. Gerade wenn um uns herum die Welt immer verrückter wird, ist der ESC eine Art beruhigende Konstante. Auch wenn der ESC natürlich kein Ort ist, an dem die Ereignisse in er Welt außen vor bleiben.

Diskussion um Israels Teilnahme

Wie bereits im Vorjahr in Malmö gab es massive Proteste gegen die Teilnahme Israels am ESC. Mittendrin damals die als Klimaaktivistin bekannt gewordenen Greta Thunberg. Definitiv keine Sternstunde in ihrem bisherigen Lebenslauf.

Nennen wir es mal zur Vereinfachung, auch wenn es absolut verharmlosend klingt, Konflikt zwischen Palästinensern und Israel. Alleine der Versuch, es so zu formulieren zeigt, wie schwierig es ist. Auf der einen Seite schreibe ich über Palästinensern und auf der anderen Seite von einem Staat statt von Menschen. Ich kann beide Seiten verstehen, für mich steht das Existenzrecht des Staates Israel jedoch außer Frage. Entweder verlieren beide Seiten oder aber sie werden gemeinsame Lösung finden und nebeneinander in Frieden leben können.

Jedenfalls kann man das sehr komplexe Thema nicht einfach herunterbrechen und Israel aufgrund seines Vorgehens im Gazastreifen die Teilnahme am ESC versagen. Sehr bewegen fand ich daher, wie absolute Mehrheit der Zuschauer weltweit das Ganze beurteilten. Der Beitrag Israels erhielt von allen Beiträgen die meisten Zuschauerstimmen. Das ist ein Statement.

So sehen Sieger aus

Gewonnen hat am Ende aber ein junger Mensch aus Österreich mit einer beeindruckenden Stimme. Der 24-jährige JJ überzeugte offensichtlich die Jury und auch die Zuschauer mit seinem Song „Wasted Love“. Ein ausgebildeter Countertenor, mit einem Beitrag in Schwarz-Weiß. Operkunst trifft am Ende Techno. Meine Frau und ich am Samstagabend auf dem Sofa waren ebenfalls begeistert und hofften auf seinen Sieg.

Wobei es aus unserer Sicht auch noch zehn andere Beiträge gab, die unseren Geschmack trafen:

  • Estland: Tommy Cash – „Espresso machiato“
  • Israel: Yuval Raphael – „New day will rise“
  • Litauen: Katharsis – „Tavo akys“ (kann man auch weit über den ESC hinaus hören)
  • Island: VÆB – „RÓA“
  • Frankreich: Louane – „Maman“
  • Schweiz: Zoë Më – „Voyage“
  • Niederlande: Claude – „C’est la vie“
  • Norwegen: Kyle Alessandro – „Lighter“
  • San Marino: Gabry Ponte – „Tutta l’italia“
  • Schweden: KAJ – „Bara bada bastu“

Nicht schlecht war Parg aus Armenien mit „Survivor“, klang für uns aber stark nach einer Coverversion eines bekannten Songs.

Deutschland verliert erneut

Augenscheinlich hat uns der deutsche Beitrag nicht gefallen. Stefan Raab, quasi der Ralph Siegel des Privatfernsehens, hatte nach längerer Pause mal wieder seine Hände im Spiel. Ihm hatte eine zentrale Rolle als Initiator, Produzent und Juryvorsitzender des deutschen Vorentscheids „Chefsache ESC 2025 – Wer singt für Deutschland?“.

Der Pate von Deutschland, der sich den Spruch zu eigen machte „Zweiter ist immer der erste Verlierer“ schaffte es nicht, sein protegiertes Duo zum Erfolg zu führen. Am Ende reichte es nur für Platz 15. Sorry, aber der Song „Baller“ ist einfach bedeutungslos, dann mögen die Geschwister Abor & Tynna noch so sympathisch sein. Abgesehen davon ist der ESC kein Fußballspiel, wo man sich als Nation die besten Spieler von überall her einkauft. Österreicher, die für Deutschland antreten — damit haben wir noch nie gute Erfahrungen gemacht. Dann lieber wieder mit eigenen Sänger:innen auf den letzten Platz kommen.

Raab jedenfalls trat konsequent im schwarzen Anzug auf, wie ein Pate oder jemand, der die deutsche Hoffnung auf einen ESC-Sieg zu Grabe tragen möchte. Man munkelt jetzt, dass sich Raab von weiteren ESC-Plänen distanziert. Besser ist das wohl.

Ohrwürmer

Zurück aber zu den Songs, die uns überzeugt haben. Zwei richtige Ohrwürmer sind darunter. Aus Schweden von KAJ (in Honecker-Gedenkanzügen) „Bara bada bastu“ und vor allem Tommy Cash aus Estland mit „Espresso machiato“. Noch Tage nach dem ESC habe ich das Stück im Kopf und summe mit. Dabei ist der Beitrag nicht unumstritten, ein Este, der auf Italienisch singt über angebliche Klischees über Italien und deren Bewohner singt. Das kam in Italien nicht gut an, es wurde sogar sein Ausschluss vom ESC gefordert.

Leute, backt mal kleinere Ciabatta! Erstens war der Song witzig und die Performance einschließend der „Bühnestürmerin“ gut. Und für Zweitens wechsle in mal in den Klugscheißermodus. Der Song hat meiner Meinung nach auch noch eine Metaebene, möglicherweise sogar selbst dann, wenn Tommy Cash das so nicht beabsichtigt hat. Wenn kennen das aus dem Deutschunterricht bei Texten:

Interpretieren Sie den Song „Espresso machiato“ vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung in den USA sowie den besonderen Beziehungen der italienischen Ministerpräsidenten zu US-Präsidenten und Vize-Präsidenten.

Und schwup, haben wir eine ganz neue Sichtweise auf den Beitrag. Der blaue Anzug mitsamt der überlangen (Phallus-Anspielung) roten Krawatte. Das Privatflugzeug im Hintergrund — man kann hier viel hereininterpretieren. Oder einfach den Song sehr witzig finden.

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