Christian Lindner ist eine Art umgekehrter Robin Hood. Sein Wirtschaftspapier fühlt sich wie ein Kahlschlag beim Bürgergeld an.
Lindners Wirtschaftspapier
Es ist schwierig, sich auf ein Thema zu konzentrieren, wenn man eigentlich die ganze Zeit bei einem anderem ist. Eigentlich möchte ich etwas über das Bürgergeld und die empörenden Vorschläge von Noch-Wirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) schreiben. Die Wahl in den USA ist jedoch omnipräsent. Wie ein Damoklesschwert hängt sie auch über Europa und den Rest der Welt.
Versuchen wir aber trotzdem, einen Blick auf das Positionspapier des FDP-Vorsitzenden zu werden. Das Wirtschaftspapier ist nicht nur eine Art angekündigte Scheidung der FDP von der Koalition mit SPD und den Grünen, sondern sozialpolitischer Sprengstoff. Betrachtet man etwa den Bereich Rente, bringt das Bastian Brinkmann in der Süddeutschen Zeitung sehr gut auf den Punkt:
Das bei der Rente gesparte Geld möchte der FDP-Chef Unternehmen und Topverdienern geben
Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus. Beim Bürgergeld droht zwar kein Kahlschlag, aber schmerzhafte Einschnitte. Den Empfänger sollen 20 Euro im Monat gestrichen werden, da die Inflation schließlich niedriger ausgefallen sei, als erwartet. Zudem will Lindner will den Empfängern von Bürgergeld statt die Kosten einer einer angemessenen Wohnung nur noch eine Unterkunftskosten-Pauschale zahlen. Die wäre dann deutschlandweit gültig und vermutlich in vielen Fällen nicht bedarfsdeckend.
Wirtschaftlich ist das auch keine so gute Idee, denn der Staat müsste bei einem Umzug schließlich wie bisher nicht nur den Umzug, sondern die Renovierung der alten so wie neuen Wohnung bezahlen.
Populistischer Kahlschlag
Wer sich nicht über Stammtisch-Niveau hinaus mit dem Bürgergeld beschäftigt hat, für den ist der Kahlschlag vermutlich eine gute Idee. Beschäftigt man sich aber erstmal mit der Materie, dann sieht die Lage ganz anders aus.
Mitte Oktober gab es vom für Mitglieder des SPD-Unterbezirks Emden eine Informationsveranstaltung zum Thema Bürgergeld. Bernd Leiß, Geschäftsführer des Jobcenters Emden und Kai-Ingo Meyer, Teamleiter des Jobcenters in Emden standen nach einem Vortrag Rede und Antwort. Den Bürgergeldempfängern gibt es nicht, sondern viele Einzelschicksale. Eins steht zumindest für Emden fest. Unter den Leistungsempfängern gibt es genau Null Totalverweigerer.
Die Gründe, warum jemand Bürgergeld erhält, sind vielfältig. Die Mehrheit der Empfänger ist im Übrigen nicht arbeitslos. Sie „stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung“ wie es bürokratisch formuliert heißt. Gründe dafür sind zum Beispiel, das sie:
- Kinder erziehen
- Angehörige pflegen
- noch zur Schule gehen
- krank sind
Zusätzlich gibt es noch bei den Bürgergeldempfängern viele der sogenannten Aufstocker. Menschen, die regulär arbeiten, aber bei denen das Einkommen nicht zum Leben ausreicht.
Bürgergeld differenziert betrachten
Bei den „klassischen“ Arbeitslosen muss man zudem noch unterscheiden zwischen Langzeitarbeitslosen, die zum Teil etwa aufgrund einer fehlenden Berufsausbildung schwer zu vermitteln sind und denjenigen, die nur vorübergehend arbeitslos sind. Bei letztere Gruppe ist es in der Regle sinnvoll, die Mietkosten vollständig zu übernehmen, wenn sie über dem Richtwert für die Region liegt. Würde man hier einen Umzug veranlassen, wären die Kosten für eine Duldung der höheren Mietkosten für die Dauer des Bezugs von Bürgergeld deutlich niedriger als der Umzug und Renovierung in eine andere Wohnung — sofern so eine zur Verfügung steht.
Spannend wir es beim Bürgergeld auch, wenn man sich ein paar Zahlen dazu anschaut. In diesem Jahr beziehen derzeit knapp 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Davon sind 1,53 Millionen nicht erwerbsfähig. Auch in diesem Jahr nutzen 2 Millionen Bürgerinnen und Bürger regelmäßig die Tafel in Deutschland.
Seit 2022 gab es ein spürbaren Zustieg, so sind es laut Tafel Deutschland
- 34 % mehr Erwerbslose
- 31 % mehr Erwerbstätige
- 31 % mehr Rentner:innen
Viele Tafeln sind am Rand ihrer Kapazitätsgrenze oder haben diese bereits überschritten. Es werden die abgegebenen Lebensmittelmengen reduziert, es gibt bei 38 % der Tafeln Aufnahmestopps und bei 29 % Wartelisten.
Nochmal in aller Deutlichkeit. Christian Lindner will bei diesen Menschen sparen (um es den Reichen zu geben). Das ist nicht nur soziale Ungerechtigkeit, sondern auch gefährlich für unsere Demokratie. So eine Umverteilung verstärkt die bereits zunehmende Ungleichheit, die zu sinkendem Vertrauen in das politische System führt, wie eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung feststellt.