Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Ostfriesland ist vermutlich mehr touristischer Brennpunkt als Hort von Rechtsextremen. Trotzdem bleibt ein merkwürdiges Gefühl zurück.

Sind Ostfriesen anders?

Ende des Monats wohnen meine Frau und ich bereits drei Jahre in Ostfriesland. Da kommt natürlich die Frage auf, ob wir uns inzwischen eingelebt haben. Vor allem aber interessiert, ob wir unsere Entscheidung bereuen.

Dass es hier oben im Norden anders ist, war uns vorab bewusst. Nicht nur die Uhren ticken anders, sondern auch die Temperaturempfindung unterscheidet sich leicht. Am Dienstag in einem Gespräch mit einem Ostfriesen wurde mir das wiedermal bewusst. Ich merkte an, dass es in diesem Sommer kaum richtig heiß gewesen sei. Darauf mein Gesprächspartner: „Doch klar. Es keinen Tag, wo die Temperatur unter 15 Grad gewesen ist.“

Über so was kann man natürlich schmunzeln. Das Lachen vergeht einem an anderer Stelle. Etwa, wenn man von einem Nazi-Konzert in der Krummhörn liest. Es gab zwar auch Gegenwind für die Veranstaltung, aber stattgefunden hat sie trotzdem. Sicher, es gibt solche Konzerte auch anderswo. Mich trifft es aber, wenn es in der Nähe stattfindet. Gibt es einen Brennpunkt Ostfriesland? Da bin ich mir noch nicht sicher.

In den sozialen Netzwerken ist mir allerdings in den letzten Monaten immer wieder aufgefallen, wie viele der dort Kommentierenden unter Artikel der Emder Zeitung oder Ostfriesenszeitung deutlich rechts von der Mitte stehen. Zum Teil sogar recht weit rechts, für meinen Geschmack.

Gewalttaten im Brennpunkt

Da beide Zeitungen auch auf die Moderation von Kommentaren offensichtlich verzichten, folge ich ihnen nicht mehr auf Facebook. Die Emder Zeitung habe ich im Abo, ich bekomme die Informationen aus der Region ohne angereicherte braune Kommentare.

Nochmal: Auch anderswo gibt es rechtes Gedankengut, nur fällt das in Köln nicht so stark auf wie in Emden — meiner Meinung nach. Auch wenn Köln meiner Meinung nach eine ganze Reihe von Problemen hat, welche die Stadt für mich persönlich nicht lebenswert macht, rückblickend erscheint sie mir in jedem Fall weltoffener und toleranter.

Diese gefühlte Toleranz vermisse ich hier in Ostfriesland. Man hat auch in der Mehrheit ein deutlich anderes Verhältnis zum Auto als in Köln. Es fast schon ein Fetisch. Aufgefallen ist mir auch die häufige Berichterstattung über Gewalttaten in der Zeitung, die gerade Emden wie ein Brennpunkt von Gewaltexzessen erscheinen lässt. So wurden Freitagnacht ein Mann und eine Frau in der Innenstadt brutal von einer Person zusammengeschlagen. Anlass war die höflich vorgetragen Bitte der Frau an den späteren Täter, doch bitte das Zerschlagen von Flaschen sein zu lassen.

Das ist lediglich der jüngste von einer Reihe von Vorfällen in Emden in diesem Sommer. Auch in Köln gibt es Gewalttaten, das will ich hier nicht verschweigen oder beschönigen. Gefühlt und in Bezug auf die Einwohnerzahl betrachtet sind es in Emden aber deutlich mehr.

Gewaltprävention auf ostfriesisch

Empfohlen wird jetzt, die Innenstadt in den frühen Morgenstunden zu meiden. Geht man so mit Brennpunkt der Gewalt in Emden um? Das wirft kein gutes Licht auf die Stadt.

Durch den Urlaub im Emsland / Papenburg weiß ich, dass auch anderswo Probleme zutage treten, wenn man näher hinschaut. So hat etwa Papenburg mit dem gleichen Problem des Leerstands von Geschäften in der Innenstadt zu kämpfen wie Emden. Wobei das kein spezielles Problem hier im Norden ist, sondern deutschlandweit besteht.

Eigentlich komme ich jetzt immer weiter ab von den beiden eingangs aufgeworfenen Fragen. Haben wir uns eingelebt in Emden? Nun, mehr oder weniger ja, würde ich sagen. An manchen Stellen ruckelt es zwar noch wie bei einer schlechten Internetverbindung, aber im Großen und Ganzen passt es. Wir haben mehr Luft zum Atmen, auch wenn es uns an manchen Stellen die Kehle zusammenschnürt.

Insofern bereuen wir unsere Entscheidung, nach Ostfriesland zu ziehen, nicht. Sicher macht der Verzicht auch ein Auto das Eine oder Andere schwieriger. Da muss jeder für sich selber entscheiden, wo Notwendigkeit aufhört und Luxus anfängt.

Es gibt aber durchaus Momente, in denen wir unsere Entscheidung hinterfragen. Dabei geht es nicht darum, aus Köln und Nordrhein-Westfalen weggezogen zu sein.

Flensburg als Alternative?

Für uns steht unumstößlich fest, dass die 10 Jahre in Köln zwar lehrreich waren, uns für den Rest unseres Lebens auch mehr als genug sind. Das Emden als Option in Ostfriesland die beste Wahl ist, können wir auch fast so stehen lassen. Manchmal kommt zwar die Frage auf, ob Leer nicht besser gewesen wäre, aber da reicht dann ein Besuch in der Nachbarstadt aus. Dort ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Lediglich die Nähe zu den Niederlanden würde uns besser gefallen.

Für Emden entschieden wir uns nicht zuletzt auch aufgrund seiner Größe — anderswo in Ostfriesland wird es dörflicher, zudem spielte bei uns auch die Bahnanbindung eine Rolle. Kommen wir zur spannendsten Punkt: Würden wir uns noch mal genau so entscheiden? Auf Grundlage unseres damaligen Wissensstands sicher ja. Mit dem heutigen Wissen wäre die Entscheidung aber zugunsten von Schleswig-Holstein gefallen (Bundesland mit dem niedrigsten Anteil der AfD-Wähler). Flensburg (an der Ostsee) wirkt nach wie vor sehr attraktiv. Direkte Nähe zu Dänemark, mit dem Fahrrad ist man in drei Stunden in Dagebüll an der Nordsee und auch am Fähranleger nach Föhr.

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