Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Bildungsgerechtigkeit im Abverkauf

Die Bildungsmisere und das Fehlen von Bildungsgerechtigkeit zeigt sich auch am kommerziellen Verkauf von alten Abituraufgaben.

Dann ist das Kind halt dumm

Persönlich finde ich es spannend, beim Thema Bildungsgerechtigkeit meine zurückzublicken auf meine eigene Kindheit und Jugend. Nur für einen Moment hört sich das merkwürdiger an, als es eigentlich ist. Mit Beginn der Schulzeit verdeutlichten sich in meiner Wahrnehmung nur leicht bestehende Unterschiede. Die Mitschülerinnen und Mitschüler mit den besseren Noten hatten in der Regel auch ein besseres Elternhaus.

Einen Zusammenhang sah ich damals, soweit ich mich erinnern kann, nicht. Schlecht in der Schule zu sein, dafür gab es damals zwei Gründe. Mangelnder Fleiß oder aber das Kind war schlicht und einfach dumm. Meine Eltern nahmen bei mir mangelnden Fleiß an, was immer wieder zu Sanktionen führte, wenn ich mit schlechten Noten nach Hause kam. So was wie Förderunterricht gab es, aber das war in der damaligen Wahrnehmung etwas für die, die eigentlich wirklich zu dumm waren.

In Deutschland gab es auch Mitte der 1970er Jahre noch erhebliche Defizite beim Thema Bildungsgerechtigkeit. Als Kind wusste ich davon nichts. Als es am Ende der vierten Klasse darum ging, wer auch welche weiterführende Schule gehen sollte, folgten die Eltern auch den Empfehlungen der Lehrkräfte, ohne sie zu hinterfragen.

So landete ich auf der Realschule. Dort durfte ich dann die fünfte Klasse wiederholen, was aber in meinem Fall definitiv an der Faulheit lag. Beziehungsweise dran, dass mir eine längere Grundschulzeit, etwa von sechs Jahren wie in Berlin, gutgetan hätte.

Fehlende Bildungsgerechtigkeit

Offensichtlich gehörte ich dann im weiteren Verlauf doch zu den besseren Schülern, denn ich gehörte zu den Wenigen in der Klasse, die sich für die gymnasiale Oberstufe qualifiziert hatten und auch dorthin wechselten. Noch immer sprach niemand, auch gerade in dem Zusammenhang, über Bildungsgerechtigkeit. Im Sozialwissenschaften-Unterricht bekam ich eine erste Ahnung, dass und was mit unserem deutschen Bildungssystem nicht stimmt. Es gibt ein berühmtes Bild mit mehreren Tieren, unter anderem einem Elefanten, einem Fisch und einem Affen. Sie sollen alle die gleiche Aufgabe bewältigen, nämlich auf einen Baum klettern.

Das Bild symbolisiert die Unfairness eines Bildungssystems, das einheitliche Anforderungen stellt, ohne die unterschiedlichen Stärken und Bedürfnisse der Schüler zu berücksichtigen. Ein Elefant und ein Fisch können nicht auf einen Baum klettern, und es ist unfair, sie anhand dieser Fähigkeit zu bewerten. Stattdessen sollte Bildungsgerechtigkeit darauf abzielen, dass jeder Schüler die Chance hat, seine Fähigkeiten und Talente in einer für ihn geeigneten Weise zu entfalten und zu entwickeln.

Deutsche Bildungsmisere

Man sollte eigentlich erwarte, dass sich im Jahr 2023 zumindest ein kleines Stück etwas in der Bildungspolitik geändert hat. Leider reicht ein Blick in die Süddeutsche Zeitung von gestern, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.

Die SZ berichtet über etwas, bei dem mir beim lesen erstmal die Kinnlade herunterfiel. Bisher nahm ich in meiner Naivität an, es würde in den Bundesländern ein Archiv mit alten Abituraufgaben geben, zu dem die Schülerinnen und Schüler kostenlosen Zugang haben, um sich auf ihr Abitur vorzubereiten.

Dem ist leider nicht so. Mit Ausnahme von Schleswig-Holstein und Niedersachsen (wo man etwa hier die alten Aufgaben herunterladen kann) verkaufen die anderen Bundesländer die Abituraufgaben nämlich an Firmen. Wobei hier „verkaufen“ der falsche Begriff ist, denn es werden Preis aufgerufen, die lächerlich sind. In Rheinland-Pfalz kosten die alten Abituraufgaben pro Fach 100 Euro. Peanuts für die Verlage, die mit dem Weiterverkauf an Schülerinnen und Schüler ein Vielfaches an Gewinn erzielen.

Hier zeigen die jeweiligen Schulministerien, was sie von Bildungsgerechtigkeit halten. Nämlich nichts. Wer sich als Schülerin oder Schüler die „Original-Prüfungsaufgaben mit Lösungen“ leisten kann, bereitet sich besser auf sein Abitur. Die anderen bleiben außen vor.

Im Übrigen, als Skandal empfinde ich es auch, dass hier eine mit Steuergeldern finanzierte Leistung (Erstellung der Abituraufgaben) an die Privatwirtschaft verschenkt wird, die damit dann Gewinne erzielt.

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