Von allen guten und bösen Geistern verlassen

In naher Zukunft könnte Künstliche Intelligenzen wichtige Rolle als Erstschlagwaffen bekommen. Ein Exkurs zum Thema.

Vorwärts in die Vergangenheit

Die 1980er Jahre waren für mich geprägt von der Angst vor einem Atomkrieg, der jederzeit ausbrechen könnte. Es war mitten in der Zeit des Kalten Krieges, in der sich die USA und die UdSSR in einem nuklearen Wettrüsten befanden. Eine Zeit, in die ich hineingeboren wurde. Die Angst sollte ich erstmal bis zum Fall der Mauer 1989 begleiten.

Zwischen den beide beiden Supermächten gab es immer wieder militärische Konfrontationen (auch in form von Stellvertreterkriegen) und es bestand permanent die Gefahr, dass ein kleiner Zwischenfall zu einem globalen Konflikt eskalieren könnte. Filme wie „The Day After“ und Bücher wie „Die letzten Kinder von Schewenborn“ oder „Wenn der Wind weht“ verstärkten beim mir die Angst.

Solange sich das nukleare Waffenarsenal im Gleichgewicht des Schreckens befand, richteten wir uns in der Angst ein und lernten, mit ihr umzugehen, ohne uns von ihr lähmen zu lassen. Allerdings gab es auch Diskussionen über Erstschlagwaffen.

Erstschlagwaffen sind nuklearen Waffen, die darauf abzielen, einen Überraschungsangriff auf den Gegner auszuführen, mit dem vornehmlichen Ziel, sein atomares Potenzial bei diesem Angriff weitestgehend zu vernichten. Auf diese Weise sollte es ihm unmöglich sein, selber mit Atomwaffen anzugreifen und wenn, dann nur in sehr begrenzenten Maße. Einen atomaren Krieg anzufangen, sollte so zu einem kalkulierten Risiko werden.

Verlockung Erstschlagwaffen

Hinter den Überlegungen zu Erstschlagwaffen steckte eine zynisch, menschenverachtenden Kalkulation. Ihre Gefährlichkeit besteht darin, dass seine einen begrenzten Atomkrieg möglich erscheinen lassen, dennoch aber bei einem Einsatz zu einer globalen Katastrophe führen würde. Letztendlich verhindern sie nämlich nicht einen nuklearen Gegenschlag.

Anfang der 1990er Jahre verschwand langsam die Angst vor einem Atomkrieg bei mir. Dafür prägte mich dann aber etwas anderes auf entscheidende Weise. Alles begann damit, dass ich den Roman „Newromancer“ von William Gibson las. Der Roman wird dem Genre des Cyberpunk zugeordnet, eine dystopische Richtung des Science-Fiction-Genres. Die Handlung von Newromancer spielt in einer, in der Konzerne die Macht übernommen haben und alles kontrollieren. Die Hauptfigur ist ein Hacker namens Case, der von einem mächtigen Konzern angeheuert wird, um in das Netzwerk eines anderen Unternehmens einzudringen.

Im Roman spielt künstliche Intelligenz (KI) eine wichtige Rolle. Insbesondere die Idee von KIs, die in der Lage sind, menschliche Intelligenz zu imitieren oder sogar zu übertreffen, ist ein zentrales Thema. Im Buch gibt es eine KI namens Wintermute, die vom mächtigen Tessier-Ashpool SA Konzern entwickelt wurde und Case, dem Hauptcharakter, beauftragt, sie zu finden. Wintermute hat die Fähigkeit, sich selbst zu verbessern und zu erweitern, indem sie andere KIs und Technologien in ihr eigenes System integriert. Die KI wird als eine Art „Gott“ dargestellt, die in der Lage ist, Dinge zu manipulieren und zu kontrollieren.

Multinationale Konzerne ohne Kontrolle

Bleiben wir erstmal bei den multinationalen Konzernen. Ähnliche Konzepte von mächtigen multinationalen Konzernen finden sich auch in anderen Werken des Cyberpunk-Genres, wie zum Beispiel „Snow Crash“ von Neal Stephenson. In „Neuromancer“ ist die Welt von multinationalen Konzernen wie der Tessier-Ashpool SA dominiert, während in „Snow Crash“ eine Welt existiert, in der Regierungen keine Macht mehr haben und alleinige Herrscher Konzerne sind.

Multinationale Konzerne im Cyberpunk symbolisieren oft eine Zukunft, in der Kapitalismus und Globalisierung zu immer größeren Monopolen und Ungleichheiten führen. Sie zeigen die Auswirkungen von Gier und Macht auf die Gesellschaft und stellen die Frage, wie weit Unternehmen bereit sind zu gehen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Soweit die Romane und ihre Vision von einer möglichen Zukunft. Eine Zukunft, in der wir, zumindest in Bezug auf multinationale Konzerne, leben. Twitter, Meta, Google, Amazon — nur vielen von vielen Beispielen. An jedem ließe sich durchspielen, wie und in welcher Form sich die Konzerne staatlicher Kontrolle entziehen und letztendlich ihre eigenen Gesetze machen, bestimme, was wir sehen und sich auch der Zahlung von Steuern entziehen. Wobei auch eher nicht-technische Konzerne wie Nestlé gefährlich viel Einfluss haben und ihre Interessen durchsetzen.

Rolle der KI

Schauen wir uns jetzt mal die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) an. Noch ist es ein Stück weit von den Visionen aus dem Cyberpunk-Romanen entfernt — wobei wir nur über das urteilen können, was man uns wissen lässt. Die Fähigkeiten von ChatGPT und Midjourney zum Beispiel sind ziemlich beeindruckend und wären vor wenigen Jahren nicht vorstellbar gewesen. Die für mich spannende Fragen bei den beiden KI-Programmen ist, wem sie tatsächlich gehören. Sie sind kein Allgemeingut, auch wenn sie derzeit öffentlich zugänglich sind. Die Nutzung kostet bei Midjourney nach Aufbrauchen des „Startguthabens“ Geld, auch bei ChatGPT, einem Produkt von OpenAI, kommerzielle Interessen dahinter. So ist etwa Elon Musk einer der Geldgeber von OpenAI — jener Elon Musk, der im vergangenen Jahr Twitter kaufte.

Wir kommen letztendlich also zu einem Punkt, wo KI in den Händen weniger oder aber multinationaler Konzerne liegt. Hinzu kommt, wie wenig wir wirklich wissen, denn wir sehen beim Thema KI nur die Spitze des Eisbergs, also das, was man uns wissen lässt. Vollumfängliche Informationsfreiheit wäre aus meiner Sicht beim Thema KI geboten, denn für mich können Künstliche Intelligenzen auch zu einer Art Erstschlagwaffen werden.

Automatisierte und koordinierte Hackerangriffe auf die Infrastruktur eines Gegners. Manipulation von Wahlen, Informationskrieg. Wir wissen bereits jetzt oft nicht mehr, was wahr oder falsch ist. Fakenews, die von KIs massenhaft produziert werden und die Informationskanäle fluten. In meinen Augen sind das auch Erstschlagwaffen. Sie machen uns handlungsunfähig und verhindern Gegenwehr, weil wir die Lügen für die Wahrheit halten.

Putins falsche Strategie

Kommen wir abschließend zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Eigentlich wählte der russische Präsident Wladimir Putin hier die falsche Strategie. Es wurde viel zu früh konventionell angegriffen, statt im Vorfeld einen Informationskrieg zu führen. Wären wir immer und immer wieder mit russischer Propaganda geflutet worden, hätten viel mehr von uns die Lügen geglaubt. Mit der richtigen KIs als Erstschlagwaffen wären wir gelähmt gewesen. Den Überfall auf die Ukraine hätten wir dann einfach hingenommen.

Erst viel zu spät kam die russische Propagandamaschinerie in Gang, der Westen und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zeigt sich solidarisch mit der Ukraine. Es ist anzunehmen, dass solche „Unfälle“ in Zukunft seltener werden. Wir sollten daher genau beobachten, welche Fortschritte China im Bereich Künstliche Intelligenz bereits erzielt hat. Seine Ansprüche auf Taiwan hat China nie aufgegeben, im Gegenteil, sie werden nach wie vor bekräftigt.

China schaut sich derzeit sehr genau an, was in der Ukraine passiert und wie Russland vorgeht und möglicherweise scheitert. Daraus werden die Machthaber in der Volksrepublik wichtige Erkenntnisse erhalten, die sie nutzen werden, um ihre Strategie zur Eroberung von Taiwan zu planen. Bevor überhaupt ein konventioneller Angriff auf Taiwan erfolgen wird, werden wir den durch KIs geführte beziehungsweise unterstützten Informationskrieg bereits verloren haben. Es wäre unrealistisch, das nicht als Erstschlagstrategie von China anzunehmen.

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