Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen zu Fantasiepreisen nimmt in Deutschland zu. Soziale Medien tragen dazu bei.

Steigende Lebensmittelpreise?

Werbung für „irgendwas mit Ernährung“ auf Facebook nimmt eklatant zu — zumindest in meiner Timeline. Nicht, dass man mich falsch versteht. Gegen gutes Essen habe ich nichts, im Gegenteil. Allerdings reagiere ich allergisch auf Produkte, die mit Lebensmittel im ursprünglichen Sinn nichts mehr gemeinsam haben. Shakes statt feste Nahrung, Ergänzungsmittel für angeblich mehr Wohlbefinden und Gesundheit oder Getränke, die über den Status Augenwischerei nicht hinauskommen.

Viele Werbeanzeigen schrammen dabei haarscharf an der Grenze der Zulässigkeit vorbei. Klar, auch die „klassische“ Nahrungsmittelindustrie ist kein Unschuldsengel. Allein das Thema Margarine etwa könnte ein ganzes Buch füllen. Was aber einige Start-ups in den sozialen Netzwerken an Produkten präsentieren, ist schlichtweg unglaublich.

Leider ist der Erfolg zu befürchten, denn es muss genügen Menschen geben, die die Produkte selbst zu Fantasiepreisen kaufen und nicht wirklich rechnen können. Klar steigen allerorts die Lebensmittelpreise. Aber nicht auf ein Niveau, was umgerechnet auf den Kilopreis nur noch absurd ist.

Nehmen wir mal ein einfaches Beispiel. Unten bei uns in der Küche steht eine Siebträgermaschine. Für die Anschaffung gab es einen einfachen Grund. Die Nespresso-Kapseln sind zwar bequem, aber exorbitant teuer. Auf 78 Euro kam ich damals für gut 1,2 Kilo Kaffee. Zum Vergleich: Fair gehandelter Bio-Espresso aus einer Kölner Manufaktur kostet 29,80 Euro — ganz ohne Kapsel-Müll.

Verbraucher lieben Fantasiepreise

Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass sich diese Fantasiepreise für Espresso noch toppen lassen. Nun muss man vielleicht auch noch erwähnen, dass Espresso etwas komplizierter in der Zubereitung ist als Filterkaffee. Ich kann auch ansatzweise nachvollziehen, warum man Kapseln den Vorzug gibt. Bei einem geringen Konsum und einer bequemen Zubereitung sind sie durchaus eine Option. Bequemlichkeit hat halt auch seinen Preis.

Bei Tee sieht es etwas anders aus. Meinen Erfahrungen nach aus den letzten Jahrzehnten wird der immer etwas stiefmütterlich behandelt. Wer mal Tee außerhalb Ostfrieslands in einem Restaurant bestellt, weiß, was ich meine. Dabei ist gerade die Zubereitung von schwarzem Tee denkbar einfach. Richtige Teemenge plus sprudelnd kochendes Wasser und dann ziehen lassen. Teebeutel vermeidet man am besten, Einwegteefilter sind eine zuverlässige Methode. Ergo, niemand benötigt Teepads. Die gibt es tatsächlich für Senso-Machschinen. Die Preise von durchschnittlich 70 Euro pro Kilo sind durchaus schon Fantasiepreise. Niemand benötigt Teepads. Wer es nichtmal zustande bringt, heißes Wasser zuzubereiten, ist ehedem nah dran an der Lebensunfähigkeit.

Tee auf der Goldwaage

Aber 70 Euro pro Kilogramm gewöhnlichen Tees sind noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Es gibt eine Firma, welche die Fantasiepreise auf die Spitze treibt. Aber vorweg mal ein Vergleichsmaßstab. Hier in Emden gibt es das Familienunternehmen Thiele. Ein Kilo Ostfriesentee kosten dort 38,40 Euro. Ein akzeptabler Preis. Noch besser geht es beim fair gehandelte Darjeeling First Flush (Bioqualität) der Teekampagne. Mit einem Preis von 34,50 pro Kilo ist man dabei und bekommt auch noch sehr transparent nachgewiesen, wie sich dieser Preis zusammensetzt.

Mit dem Hinterkopf schauen wir uns mal die Preisgestaltung einer Berliner Firma, nennen wir sie „Schluck“ an. Für ihren losen Friesentee rufen sie 88,80 Euro pro Kilo auf. Entscheidet man sich für die Variante in Beuteln, sind das bereits 208,90 Euro pro Kilogramm. Gleiches Preisgefüge beim Darjeeling. Eigentlich benötigt man dafür eine andere Bezeichnung als Fantasiepreise. Würde ich aber etwa von „Wucher“ schreiben, wäre es möglicherweise abmahnfähig — vermeiden wir also daher den Begriff. Fantasiepreise klingt auch irgendwie noch etwas netter.

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