Von allen guten und bösen Geistern verlassen

In fast jedem Bereich menschlicher Tätigkeiten gibt es die Möglichkeit der Vorteilsnahme. Die Nutzung hängt von der eigenen Moral ab.

Unschöne Themen umgehen

Es gibt Tage, an denen ich keine Lust darauf habe, Schlechte-Laune-Artikel zu schreiben. Wie eine Katze um den heißen Brei schleiche ich dann um das entsprechende Thema herum. Insbesondere bei Themen mit Corona-Bezug habe ich persönlich längst die Sättigungsgrenze überschritten.

Tage ziehen sich wie Kaugummi, ohne das sich Licht am Ende des Tunnels abzeichnet. Während die ersten Impfungen gegen Corona auch in Deutschland durchgeführt werden, zeichnet sich mein eigener Impftermin nicht mal am Horizont ab. Mit jedem Tage werden Haare und Gesicht länger. Statt Aufmunterung tummeln sich in der Zeitung vor allem Berichte, die einen weiter herunterziehen.

All animals are equal, but some animals are more equal than others.
George Orwell, Animal Farm

Die Berichte über Vorteilsnahme in Bezug auf die Corona-Impfung sind da keine Ausnahme. Da lässt ein Klinikum die gesamte Belegschaft einschließlich Geschäftsführung und Verwaltung impfen, nicht jedoch die geringfügig Beschäftigten. Oder aber man liest vom Geschäftsführer des Klinikverbundes Aurich-Emden-Norden, welcher bereits geimpft wurde. Eigentlich sollten ja zuerst Pflegepersonal, Ärzte und besondere Risikogruppen wie etwa über 80-jährige geimpft werden. Claus Eppmann zu keiner der Gruppen an, ist aber halt Geschäftsführer. Da kann man ja schon mal eine Ausnahme für sich machen. Es richt merkwürdig nach Vorteilsnahme.

Bewertung von Vorteilsnahme

Kurz zu den Fakten. Claus Eppmann wurde Presseberichten zu Folge außer der Reihe geimpft. Im Detail bedeutete das eine Impfung mit sogenannten Resten. Eine Ampulle enthält eine bestimmte Anzahl an Einheiten, dazu allerdings auch noch eine Sicherheitsmenge. So ist es durchaus möglich, dass bei einer Ampulle für fünf Impfungen noch genügend Rest für eine sechste Impfung enthalten ist.

Der Impfstoff hält sich nicht beliebig lange, sondern muss zeitnah aufgebracht werden. Eigentlich gibt für den Umgang mit „Resten“ die gleichen Vorgaben wie für die regulären Einheiten. Jedoch fallen diese Reste aus dem System heraus, da sei eigentlich nicht eingeplant waren in der Kalkulation. Das führt zu immer mehr Fällen, wo Personen geimpft werden, die nicht an der Reihe gewesen wären. In solchen Fällen von Vorteilsnahme zu sprechen, erscheint mir persönlich als legitim.

Für Herrn Eppmann wird diese Art der Vorteilsnahme wohl keine weiteren Konsequenzen haben. Laut Bericht der Emder Zeitung stimmt der Aufsichtsrat der Kliniken mehrheitlich für ein Festhalten an Eppmann. Man kann den Vorfall sicherlich sehr unterschiedlich bewerten. Vertrauen in das Impfverfahren wird jedoch nicht aufgebaut.

Nicht alle gleich

Meiner Meinung nach ist die Vorteilsnahme von Herrn Eppmann keine Kleinigkeit. Um das mal ins Verhältnis zu setzen: Im Januar 2008 fand eine Kassiererin in einem Supermarkt zwei nicht eingelöste Pfandbons und nahm sie an sich. Der Wert der beiden Bons betrug zusammen 1,80 Euro. Als sie im weiteren Verlauf damit privat im selben Supermarkt einkauft, hatte das eine fristlose Kündigung zur Folge. Erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit bekam sie ihren Job wieder zurück. Im Jahr 2015 erlag die 57-Jährige einem Herzleiden.

Mal ehrlich, fristlos entlassen für 1,30 Euro in einem sehr uneindeutigen Fall — in letzter Instanz wurde schließlich zu ihrem Gunsten entschieden. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Nicht nur moralisch schätze ich die Vorteilsnahme von Herrn Eppmann deutlich schwerwiegender ein als die Aneignung herrenloser Pfandbons.

In den beiden Fällen zeigt sich ziemlich eindeutig, wer tatsächlich als systemrelevant gilt.

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