Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Distanzlernen aus der Froschperspektive

Bedingt durch die Pandemie ist Distanzlernen das große Thema bei vielen Familien zu Hause. Frust ist mittlerweile reichlich vorhanden.

Digitalisierung verschlafen

Lockdown, Szenario C, Distanzlernen — gefühlt wird zu 90 Prozent über die Schülerinnen und Schüler und betroffene Eltern berichtet. Dabei gibt es noch andere am Distanzlernen beteiligte. Nämlich die Lehrerinnen und Lehrer. Dazu dann gleich mehr.

Vorweg jedoch (mal wieder) mein Lied von der verschlafenen Digitalisierung der Schulen. Obwohl ich keine Kinder habe und selber nicht in einer Schule als Lehrkraft arbeite, verbittert mich das Thema zunehmend. Jedes Mal aufs Neue werde ich an die Erfahrungen im Studium erinnert. Damals, als ich noch mit viel Elan selber Lehrer waren wollte, beschäftigte ich mit Formen des computergestützten Lernens. Multimedia und Unterricht eines der Themen, für die ich richtig Feuer fing. Allerdings gehörte ich zu den Wenigen, die sich damit ernsthaft auseinandersetzten. Viele viele andere war es unnötiges Zeug, was vom eigentlichen Unterricht und der bewährten Art der Vermittlung des Stoffes ablenkte.

Für die Beschäftigung mit Lernsoftware, die über „Drill and Kill“ hinausging, wurde ich belächelt — auch von Kommilitoninnen. Selbst nach der Jahrtausendwende ändert sich wenig in den Köpfen. Computer tauchten nur im Informatikunterricht auf. Aus Interesse verfolgte ich das Thema lange weiter. Selbst die schnelle Anbindung der Schulen in Deutschland an das Internet wurde viel zu lange verschlafen. Genug gejammert, andere haben ernsthafte Gründe, sich zu beklagen.

Mehraufwand durch Distanzlernen

An die Wertschätzung der Lehrkräfte (faule Säcke) eines ehemaligen Bundeskanzlers kann ich mich noch gut erinnern. Unüberlegt, dumm und plumpe Wiedergabe von Vorurteilen — Ferien sind nämlich entgegen der landläufigen Meinung lediglich unterrichtsfreie Zeit. Insbesondere Lehrkräfte mit Korrekturfächern können sich über zu viel Freizeit nicht beschweren. Bereits vor Corona erstaunte mich immer wieder, wie viel Zeit meine Frau (Gymnasiallehrerin) neben der Schule noch am Schreibtisch verbringt. Selbst abzüglich der Ferien kam ich auf eine jährliche Wochenarbeitszeit deutlich über meinen 38,5 Stunden.

Das derzeitige Distanzlernen toppt das alles noch weiter. Sowohl Eltern als auch die Schülerinnen und Schüler erkennen meistens nicht, wie viel Aufwand mit dem Distanzlernen verbunden ist. Nein, sind nicht nur Videokonferenzen mit den Schülerinnen und Schüler, die von zu Hause aus zugeschaltet sind. Es ist auch eine riesige Menge an E-Mails, die täglich zu bewältigen ist.

Anfragen zu gestellten Aufgaben (die ja auch irgendwie aus dem Hut gezaubert werden müssen), Rückmeldungen oder ausbleibenden Rückmeldung. Zudem die Asynchronität. Ein Beispiel: Normaler Präsenzunterricht zur ersten Stunde bedeute, dass genau zur festgelegten Zeit alle Schülerinnen und Schüler im Klassenraum sind und dem Unterricht folgen können. Die Aufgaben werden in diese Zeit bearbeitet, Fragen in dieser Zeit beantwortet.

Arbeiten bis zum umfallen

Beim Distanzlernen sieht das anders aus. Es gibt durchaus Spezies, die diese Form des Unterrichts mit einer Form von Ferien verwechseln. Das Mindestes ist dabei ausschlafen. Mit gestellten Aufgaben wird sich dann erst am frühen Abend beschäftigt. Selbstverständlich mit der Erwartungshaltung, bei aufkommenden Fragen sofort von der Lehrerin eine Rückmeldung per E-Mail zu erhalten.

Nach Ende der Weihnachtsferien saß meine Frau von morgens 7:30 bis teilweise jenseits von 22 Uhr am Schreibtisch. In anderen Bereich würden die Arbeitnehmer bei solchen Arbeitszeiten auf die Barrikaden gehen. Jetzt gibt es mit den von ihr betreuten Klassen zumindest die Absprache, nur in der Zeit von 8 bis 17 Uhr erreichbar zu sein.

Gute Ratschläge meinerseits bringen an der Stelle wenig, da für alle Lehrerinnen und Lehrer Distanzlernen Neuland ist.

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