Je nach Einstellung hat am Wochenende eine unterschiedliche Anzahl fehlgeleiteter Menschen in Berlin protestiert. Falsche Zahlen sind auch die Folge von Wahnvorstellungen.
Neigungsgruppe Weltuntergang
Zwischen 17.000 und 1,7 Millionen besteht ein erheblicher Unterschied. Wer es aber schon mit der Wissenschaft nicht so genau nimmt, hat auch Probleme beim Zählen. Eigentlich wollte ich zum Thema „Demonstration für die zweite Welle“ nicht noch einen Artikel schreiben. Ein Artikel in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung lässt mich jedoch nicht mehr los. So muss ich mich also erneut mit dem „Gesocks“ (wie meine Großmutter vermutlich die Demonstranten in Berlin bezeichnet hätte) beschäftigen.
Die SZ gab ihrem Artikel eine ziemlich geniale Überschrift „Neigungsgruppe Weltuntergang“. Wer Zugriff auf den Text hat, sei vorgewarnt. Das Lesen fällt mitunter schwer, weil man immer kurz davor ist, sich mit der Handfläche gegen die Stirn zu schlagen. Was da an Vorstellung auftaucht, geht meiner Meinung nach in Richtung Wahnvorstellungen. Oder, wie es die SZ schreibt: „Eine digitale Infektion“. Vornehmlich Infektionsquelle ist die App „Telegramm“ (kenne ich nicht, brauch ich nicht). Die Autoren zeigen am Beispiel, wie eine Radikalisierung im schlimmsten Fall verläuft. Von einer eher harmlosen Haltung, nicht an Corona zu glauben, zu einer fast staatsfeindlichen Position.
Menschen mit Wahnvorstellungen
Es gibt belegbare Schnittmengen zwischen Verschwörungsideologen, QAnon-Anhängern so wie Reichsbürgern und Neonazis. Man kann das alles als einen temporären Trend bezeichnen. Allerdings heißt es in dem Artikel, dass 38 Prozent der Deutschen bereits vor Corona eine Tendenz zu Verschwörungsmythen hatte. Ehrlich, für mich sind das Menschen mit Wahnvorstellungen. Einer der im Text auftauchenden Person kann sich etwa ernsthaft vorstellen, dass die Erde eine Scheibe sei. Mir macht das Angst, insbesondere die große Anzahl der Menschen, die sich aus dem wissenschaftlichen Konsens verabschiedet haben.
Meiner persönlichen Meinung nach besteht etwa bei den beiden Frauen aus dem Artikel ein dringender Therapiebedarf. Natürlich bin ich in Bezug auf Wahnvorstellungen und anderen psychologischen Störungen kein Experte. Aber ein kleines Stück weit einschätzen kann ich so was dennoch.
Meinen Zivildienst leistet ich in der Tagespsychatrie ab. Die Patienten dort wirken im Rückblick und Vergleich zu denen aus der Neigungsgruppe Weltuntergang deutlich harmloser. Die meisten zeigten auch Einsicht in Bezug auf die Notwendigkeit einer Therapie.
Wäre vor 30 Jahren jemand durch die Stadt gelaufen und hätte davon gesprochen, dass die Bundesregierung unterirdische Folterzentren für Kinder im Auftrag von Bill Gates betreibt — er wäre zeitnah ausgelesen und eingewiesen worden. Je mehr ich von diesen Verschwörungsmythen lese, desto unglaublicher finde ich, dass man ernsthaft dran glauben kann. Es besteht hier in jedem Fall Handlungsbedarf, denn die unter diesen Wahnvorstellungen leidenden Menschen sind nicht nur eine Gefahr für sich, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Eine Antwort
Wunderbar. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Danke! Das alles ist wirklich unfassbar.