Rebellisch zu sein kommt gerade in der Corona-Krise wieder in Mode. Die schweigende Mehrheit jedoch hält sich an die Kontaktbeschränkungen.
Lauter Widerstand
Erst mal völlig wertneutral steht an dieser Stelle eine Feststellung. Ablehnung, Widerstand und Trotz ist immer eine Sache von Minderheiten. Mit Blick auf 75 Jahre Kriegsende: Minderheiten, die widerstand leisten, sind wichtig. Die schweigende Mehrheit ist längst nicht der Idealfall, sondern häufig auch ein massives Problem. Das ist mir heute genau so bewusst wie schon vor einigen Jahren, als ich selber demonstrierend auf die Straße ging.
Was mir damals aber nicht bewusst war, ist die Gefahr der Verblendung bei der Minderheit. Zwischen edlen Zielen und ideologischer Verblendung ist oft nur ein schmaler Grat. Genau so wie die schweigende Mehrheit im Unrecht sein kann, können es auch Minderheiten, die „gegen das System“ protestieren. Die Verschwörer vom 20. Juli 1944 waren in der Minderheit. Vom heutigen Standpunkt aus aber nicht nur moralisch im Recht. Sie versuchten, dem Unrechtsstaat ein Ende zu setzen.
Auch wenn es ein heikler Vergleich ist: Die Rote Armee Fraktion versuchte das Jahre später auch. Sie empfand das System BRD als falsch. Eine Minderheit, die gegen den Staat Krieg führte. Die Wahl ihrer Mittel war falsch, sie waren fehlgeleitet und verblendet von ihrer Ideologie. Diesmal befand sich die schweigende Mehrheit im Recht. In Zeiten der Corona-Krise prallen erneut Weltbilder aufeinander.
Sichtbare Schweigende Mehrheit
In den letzten Tagen und Wochen habe ich mich immer wieder über die aufgeregt, denen die Maßnahmen mehr oder weniger am Arsch vorbei gehen. Menschen, welche die Kontaktbeschränkungen unterlaufen. Sich rücksichtslos gegenüber ihren Mitmenschen verhalten. Bis hin zu denen, die etwa an der Hygiene-Demo am 1. Mai in Berlin teilnahmen. Wild und laut macht sich eine Minderheit Luft.
Die schweigende Mehrheit in Deutschland dürfte jedoch mit den Maßnahmen einverstanden sein, den Kurs der Bundesregierung mit tragen. Es ist aber leider eine unsichtbare Mehrheit. Befürworter der Einschränkungen gehen eben nicht auf die Straße, um ihre Solidarität zum Ausdruck zubringen.
Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung, „Die Allianz des Unsinns“ hat mich ziemlich beschäftigt. Auf Verschwörungstheorien reagiere ich extrem allergisch. Erfreut hat mich gestern Abend auf dem Weg zurück vom Einkauf (natürlich mit Maske) eine kleine Szene aus dem Alltag.
Ein junges Paar in einem Mehrfamilienhaus hatte Freunde zu Besuch und aßen gemeinsam. Das Paar saß auf dem Balkon. Das befreundet Paar hatte sich nicht nur eigenes Essen und Getränke mitgebracht. Sondern auch Stühle, auf denen sie mit gehörigen Abstand zum Balkon saßen, getrennt durch eine kleine Hecke.
COVID-19 trifft jede Altersgruppe. Genau so ist Umsicht und Verstand auch keine Frage des Alters.
Mir persönlich hat diese Szene sehr gutgetan. Ein Stück Hoffnung, dass man selber nicht blöd und komisch ist, weil man sich an Regeln hält.