Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Unverschuldet rutscht man nicht auf fast 20 Prozent ab. Die Frage nach den Ursachen ist daher überfällig. In der SPD sucht man jetzt die Versäumnisse.

Der Sanierungsfall

Am Montag wurde in der Berliner SPD-Zentrale eine 107-seitige Analyse der Bundestagswahl 2017 vorgestellt. Nach dem Debakel wurde sie vom damaligen Parteichef Martin Schulz in Auftrag gegeben. Ein externes Team sollte einen möglichst objektive Blick auf den Zustand der Partei gewährleisten. In der Presse kursiert zur Zeit die Kurzform. Sigmar Gabriel und Martin Schulz seien Schuld. Von Parteichefin Andrea Nahles heisst es, durch die SPD müsse jetzt ein Ruck gehen. Wir erinnern uns an den bahnbrechenden Erfolg des Rucks nach der Rede von Roman Herzog. Die Parteispitze spricht von Konsequenzen, die jetzt gezogen werden sollten. Meiner Meinung nach hat ja die SPD als Ganzes versagt . Auch eben in jedem Moment, als sie eine Mitverantwortliche für das Desaster zu neuen Parteivorsitzenden wählte.
Auch wenn ich persönlich bereits in der Vergangenheit wenig von Sigmar Gabriel gehalten habe, finde ich den Umgang mit ihm jetzt befremdlich. Es ist erschreckend, mit welcher schamlosen Leichtigkeit man die Schuld für die Misere der SPD an einigen wenigen festmacht. Aber da ist halt das praktische an Sündenböcken. Man kann ihnen die Schuld geben und muss sich nicht mit eigenen Versäumnissen befassen. Versäumnisse, welche die Partei ingesamt zu verantworten hat.

Analyse der Versäumnisse

qimono / Pixabay

Aufgezählte Versäumnisse

Es wird genüsslich abgerechnet mit Sigmar Gabriel, was zu erwarten war. Aber auch Schulz kommt nicht gut weg, was ihn im Prinzip für weitere Aufgaben disqualifizieren sollte. Die lesenswerte Analyse mit dem hoffnungsvollen Namen „Aus Fehlern lernen“ spricht in Kapitel 1 von Schulz als Hoffnungsträger, der zum tragischen Helden wurde. Das gleiche Kapitel enthält eine detaillierte Chronologie, in der sich die Versäumnisse und Fehlentscheidung gut erkennen lassen.
Dem Kandidat Schulz fehlt es an rhetorische Überzeugung, gegenüber der Presse kommt es zu Versäumnissen, inhaltlich eiert man herum statt ein klares Profil zu zeigen. Am schlimmsten: man schafft es nicht, den Wählerinnen und Wählern eine klare Alternative zu Angela Merkel schmackhaft zu machen. In der Öffentlichkeit ist sie präsenter, überzeugender. Das hält sich bis zum TV-Duell, welches Schulz ebenfalls nicht für sich entscheiden kann.
So spannend das Kapitel 1 der Analyse auch in der Retroperspektive ist, zwischen den Zeilen und auch ganz direkt werden die Versäumnisse vor allem Martin Schulz angelastet.
Kapitel 2 „Volkspartei ohne Volk“ ist dann das Statistikmonster. Eine sehr ausführliche Beschäftigung mit Umfragen und Wahlforschung. Entscheidende Erkenntnis: nur mit dem Thema soziale Gerechtigkeit lässt sich keine Wahl gewinnen. Der SPD mangelt es an Themenfeldern, die sich glaubwürdig besetzt und bei denen man ihr vor anderen Partei die höchste Kompetenz zutraut.

Hoffnungslos für die Zukunft

Das Ende von Kapitel 2 schiebt im Fazit wieder vor allem Schulz die Schuld in die Schuhe. Das hinterlässt ein eigenartiges Gefühl. Besser wird es nicht im folgenden Kapitel, „Schiffbruch mit Ansage.“ Dort heisst es bereits in der Einleitung, die Wahl 2017 ging bereits spätestens 2015 verloren. Man attestiert der gesamten Kampagne zur Kanzlerkandidatur eine fehlende strategische Grundlage. Wahr ist wohl, dass regieren nur um an der Macht zu sein keine inhaltliche Dimension hat.
Der Reihe nach werden dann ehemalige Kanzlerkandidaten und Fast-Kandidaten im Kapitel abgewatscht. Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück — alle bekommen sie ihr Fett weg.
Ab Kapitel 4 geht es dann darum, wie man die SPD wieder fit machen könnte für den Erfolg. Und unter der Überschrift „Schleichende Entkopplung“ verspricht es im 5. Kapitel richtig spannend zu werden. Die Analyse beschäftigt sich mit der Entkoppelung von Parteispitze und Basis. Die Basta-Politik und der brachiale Durchsetzungswillen der Spitzenfunktionäre führte zu Befremdung und zu Entfremdung.
Es ist wohl eines der grössten Versäumnisse, hier nicht frühzeitig entgegen gesteuert zu haben. Allerdings erteilt man Ideen der Mitbestimmung wie etwa Basisdemokratie eine klare Absage: „Basisdemokratie ist kein Rezept für eine sozialdemokratische Zukunft. Eine Partei braucht Führung.“
Meiner Meinung nach das falsche Rezept für die Zukunft der SPD.
Die nachfolgende Kapitel sind allesamt kürzer, mehr Skizzen. Als ob man zum Ende einfach noch etwas zum auffüllen benötigt hätte. Das Ganze ist dann auch nicht frei von Widersprüchen, wenn man etwa in Kapitel 11 im Fazit davon spricht, die SPD müsse das Thema Gerechtigkeit wieder auf die Tagesordnung setzen. Zuvor in Kapitel 2 hat man doch selber festgestellt, dass dies kein Allheilmittel ist.

Analyse der Analyse

Auffällig an der Analyse ist, was nicht in ihr steht. An genau vier Stellen wird die derzeitige Parteivorsitzende Andrea Nahles erwähnt. Oder um es anders auszudrücken: sie kommt in der Analyse verdammt gut weg.
Das gesamte Papier liest sich im Grunde wie ein Fahrplan für sie, mit dem Nahes hervorragend durchstarten kann. Den erhofften Erfolg wird es jedoch nicht bringen. Auf den 107 Seiten kommt ein Wort nämlich nicht vor: Mitbeteiligung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner