Die 20er Jahre des vorherigen Jahrhunderts warne anders als vermutet keine kurze Periode des Friedens zwischen zwei Weltkriegen. Der Erste Weltkrieg hatte ein blutiges Erbe mit erheblichen Nachwirkungen.
Deutsche und der Weltkrieg
Beim Schlagwort Weltkrieg trigert bei uns Deutschen nahezu automatisch immer der jener Krieg zwischen 1939 und 1945, auch bekannt aus Zweite Weltkrieg. In unserem Bewusstsein überlagert er den Ersten Weltkrieg, anderswo wie etwa in Kanada, Australien und auch Großbritannien ist mit „The Great War“ immer noch Erste Weltkrieg gemeint. Die Sichtweisen sind dabei genau so unterschiedlich wie die Einschätzung, wer denn nun die Schuld an der „Urkatastrophe der Menschheit“ hatte. Deutschland alleine? Im Verbund mit Österreich-Ungarn? Oder verhielt es sich so, dass Europa mehr oder weniger wie ein Schlafwandler in den Krieg geraten ist, wie Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler“ zu beweisen versucht?
Nach einer ganzen Reihe von Büchern zum Thema ist meine Erkenntnis, dass die Wirklichkeit eben doch deutlich komplizierter ist. Vor allem geht sie weit über das hinaus, was man im Geschichtsunterricht beigebracht bekommen hat. Wie vermutlich auch der gesamte Geschichtsunterricht mehr nur ein kurzer Abriss ist. Gerade durch die Komprimierung kommt es dann mitunter zu Verfälschungen oder Vereinfachungen.
Blutiges Erbe
In meinem Kopf saß jetzt lange Zeit ein Bild der 1920er Jahre fest, dass so nicht richtig ist. Die so genannten Goldenen Zwanziger — eine friedliche und glückliche Zeit bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Gerade den Glauben an eine friedliche Zeit erschüttert Robert Gerwarth mit seinem Buch „Die Besiegten — Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs“ gründlich. Was aber war ist genau gemeint, wenn Gerwarth über ein blutiges Erbe spricht?
Das es den Verlierern des Weltkriegs nicht so gut ging, liegt auf der Hand. Wobei sich Deutschland trotzdem noch verhältnismäßig gut entwickelt — bis zum zivilisatorischen Bruch.
Bekannt war mir aber nicht, dass auch die Sieger nicht immer im Sonnenlicht standen. So hat etwa Italien auf Seiten der Entente gegen Österreich-Ungarn und Deutschland (so wie deren Verbündet) gekämpft. Viele italienische Soldaten ließen ihr Leben. Ursprünglich hatte Italien ein Bündnis mit Deutschland und Österreich-Ungarn. Die Versprechungen, die man Italien machte sowie die eigenen Hoffnungen auf territoriale Zugewinne ließen Italien die Seiten wechseln.
Besiegte Sieger
Am Ende des Krieges hatten die Italiener nicht das Gefühl, zu den Siegern zu gehören. Die Versprechungen erwiesen sich größtenteils als Luftnummer. Das ist ein Beispiel für ein blutiges Erbe, denn die Unzufriedenheit und das Gefühl, Verlierer zu sein führte Italien letztendlich in den Faschismus.
Blutiges Erbe meinte aber auch, dass es keinen Frieden nach 1918 auf der Welt geben hat. Ebenfalls nicht in Osteuropa, wo blutige Bürgerkriege tobten Nicht nur in Russland, auch auf dem Balkan.
Während „Die Schlafwandler“ sich mit dem Wie beschäftigt, andere Bücher die Grausamkeit des Krieges behandeln, liegt der Fokus von „Die Besiegten“ auf die Nachwirkungen. Und die beschränken sich nicht nur auf die Zeit zwischen den beiden großen Weltkriegen. Die Folgen der Aufteilung des besiegten Osmanischen Reiches etwa sind bis in unsere Zeit spürbar. Die Missachtung des Selbstbestimmungsrechts von Völkern trotz der erklärten Absicht, genau das beachten zu wollen, ebenfalls.
Mit viel Gespür für die Komplexität der Materie verdeutlicht Robert Gerwarth den Leserinnen und Lesern seines Buches ein wichtiges Kapitel der Geschichte.
Eine Antwort