Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Ein aufgeschobener Kaffee verlängert nicht die Wartezeit bis zum nächsten Heißgetränk. Vielmehr verbirgt sich dahinter eine soziale Idee aus Italien.

Bis zur letzten Bohne

Normalerweise verteidige ich meinen Kaffee bis zur letzten Bohne. Wie aber gestern bereits geschrieben, musste ich eine Zwangspause einlegen. Drei Tage ohne Kaffee sind wirklich hart. Der erste Schluck heute morgen brachte dann endlich die Erlösung. Das Gefühl, endlich wieder klar denken zu können, ist unbeschreiblich. Meine Frau meinte, ich sei wie ausgewechselt — wieder ganz der Alte.
Es gibt aber Menschen, die aus anderen Gründen auf Kaffee verzichten müssen. Ihnen fehlt schlicht und einfach das Geld. Wenn ich dabei an unseren Gesundheitskasper Spahn denke, kommt mir die kalte Wut hoch. Von wegen es würde in Deutschland keine Armut geben. Die gibt es und sie ist keine neue Erscheinung. Ziemlich gut kann ich mich noch an ein prägendes Erlebnis während meiner Zivildienstzeit erinnern. Ich sprang bei einem Hausbesuch für eine erkrankte Kollegin in. Die psychisch kranke Frau war schon im Rentenalter, das Geld reichte hinten und vorne nicht. Kaffee konnte sie sich nicht leisten, lediglich den billigsten Kamillentee. Selbst dabei musste sie sparsam sein und verwendet die Beutel zwei bis drei Mal.

Aufgeschobener Kaffee

CARLOSPINEDA / Pixabay

Aufgeschobener Kaffee aus Italien

Mein Zivildienst ist über 25 Jahre her. Ich weiss nicht, was aus der Frau geworden ist. Dafür ist mir aber bekannt, wie es mit der Armut in Deutschland aussieht. Die Statistik aus 2016 ist ziemlich erdrückend. Der Anteil der Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung in Deutschland betroffen sind, betrug 19,7 Prozent. Da kann einem morgens glatt der Kaffee wieder hochkommen. Aber auch das ist kein aufgeschobener Kaffee. Von dem las ich gestern in der Süddeutschen Zeitung. Es ging um ein Café nahe der Münchner Innenstadt und etwas, was der italienisch stämmig Besitzer aus seiner früheren Heimat mitbrachte. Ganz genau, aufgeschobener Kaffee ist gemeint oder wie der Italiener ihn nennt, Caffè sospeso.
Die Idee bei aufgeschobener Kaffee ist die: Kunden in einem Kaffee bezahlen freiwillig zwei Kaffee, erhalten aber nur einen. Der zweite Kaffee wird aufgeschoben. Obdachlose und andere Bedürftige erhalten ihn dann, ohne selber bezahlen zu müssen. Das kleine Problem dabei, was auch in der SZ angesprochen wurde: niemand outet sich gerne als Bedürftiger. Die Grundidee ist trotzdem gut. Auf ganz unbürokratische Weise kann man anderen Menschen helfen, ohne jemand direkt zu bevormunden.
Im Artikel wurde auch die Website Suspended Coffee erwähnt. Für Köln habe ich direkt mal nachgesehen und bin doch peinlich berührt. Linksrheinisch sind es redlich vier eher unbekannte Läden, die mitmachen. Köln, das geht deutlich besser!

2 Kommentare

  1. Nette Idee, aber was mich daran nervt: Lokalpatriotismus satt, dazu noch der Slogan „von Ehrenfeldern für Ehrenfelder“. Ob die den Personalausweis vorher kontrollieren?

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