Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Ein 48-Jähriger raste am Wochenende in eine Menschenmenge. Münster reiht sich auf diese Weise ein in eine Liste mit Orten, mit denen man Anschläge verbindet.

Amok statt Selbstmord

Wenn ein Mensch mit einem Auto mehre Menschen tötet und zahlreiche verletzt, bevor er Selbstmord begeht, kann man eigentlich nicht mehr von Selbstmord sprechen. Auch die Bezeichnung „Erweiterter Suizide“ ist unpassend. Und ehrlich gesagt ist sie nie richtig. So was wie einen erweiterten Selbstmord gibt es nicht, nur Mord und darauf folgender Selbstmord. Das was in Münster geschehen ist, lässt sich wohl eher als Amokfahrt bezeichnen. Es steckte, wie zunächst spekuliert, kein politisches oder religiöses Motiv dahinter. Ein geist verirrter Einzeltäter, jemand mit psychischen Problemen. Jemand, der erst in eine Menschenmenge fuhr und sich dann selber erschoss.  Genau da aber fangen die Probleme in der Berichterstattung erst an.
Bereits gestern wusste ich von dem, was in Münster passiert ist. Hier im Blog gab es ein anderes Thema. Trotzdem dominiert mein Beitrag von gestern ein anderer Selbstmord in der Nähe von Münster, einer der sich zu Beginn meines Urlaubs ereignet. Zwei Selbstmörder und doch keine Gemeinsamkeit. Oder doch?

Münster

hpgruesen / Pixabay

Verzweifelter Hilfeschrei

Ob ein Selbstmord ein verzweifelter Hilfeschrei ist und die meisten Selbstmörder drauf hoffen, im letzten Moment gefunden zu werden, kann ich nicht beurteilen. Ehrlich gesagt will ich es auch nicht, da man die Gründe für Selbstmord nicht über einen Kamm scheren kann. Warum sich der Rollstuhlfahrer Ende März vor den Zug geworfen hat, weiß ich nicht. Vom Mann in Münster heisst es, er sei psychisch labil gewesen und habe die Umwelt für sein Scheitern verantwortlich gemacht. Es gibt Fälle, wo ein schwerkranker Mensch seinen letzten Ausweg in einer Überdosis sucht, um sich von seinem Leid zu erlösen.
Wieder gelangt man auf diese Weise beim schreiben zu einem heiklen Punkt. Wer maßt sich an, über das Leid anderer zu urteilen? Vielleicht hat es den Täter in Münster genau so gequält, als wenn er unheilbar an Krebs erkrankt gewesen wäre. Wir sehen nur das Resultat, können und sollten uns zuerst den Opfern und Überlebenden zuwenden. Überflüssig mach dies eine grundsätzliche Diskussion aber nicht.

Münster ist überall

Hässlich sind jede Form von Mutmaßungen oder Vorverurteilungen. Da die Tat mit einem Auto begangen wurde, spekulierte man auf Grund ähnlicher Ereignisse recht schnell über einen islamistischen Terroranschlag. Das es „nur“ ein Amokfahrer war, macht die Sache für die Opfer nicht besser. Münster zeigt mir, was eigentlich in den sozialen Netzwerken bei solchen Vorfällen zunächst am besten wäre: schweigen. Oder zumindest nur das berichten, was man absolut sicher weiß. Alles andere schürt Panik und Hass. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, sprach über Besonnenheit, und wünschte sich, dass sie „auch alle die erreicht hätte, die ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben“. Dem kann man sich nur anschließen.
Münster zeigt aber auch, dass wir vorsichtig sein sollten mit Etikettierungen. Wenn etwa ein Täter Moslem ist, kann man nicht pauschal alle Moslems unter Generalverdacht stellen. Selbst wenn jemand Islamist ist, wird aus ihm erst dann ein Terrorist, wenn er zur tat schreitet. Leider aber ist die Unschuldsvermutung etwas aus der Mode gekommen.
Überspitzen wir einfach mal die „lückenlose Überwachung“ möglicher „Gefährder“. Wenn schon Menschen mit Nähe zum Islam(ismus) pauschal, vielleicht sogar verdachtsunabhängig überwacht werden, müsste das auch bei anderen Gruppen erfolgen. Etwa eben bei psychisch labilen Menschen. Am Ende wird dann nahezu jeder überwacht, denn jeder ist ein potentieller Täter. Ich halte das für ähnlich schrecklich wie das Steuern eines Autos in eine Menschenmenge — auch wenn man bei der Überwachung erstmal keine Opfer sieht.

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