Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Wenn man beim lesen eines Buches nicht vorn kommt, sollte man den Schalter für Notaus in Erwägung ziehen. Ein schlechtes Buch gegen ein noch schlechteren Roman zu tauschen, kann sogar besser sein.

Am Anfang fast zu Ende

Seit Freitag Spätnachmittag (eigentlich früher Abend) sind meine Frau und ich wieder zurück aus unserem Osterurlaub. Acht Tage auf Borkum — die sind viel zu schnell umgegangen. Dabei haben wir den Beginn unseres Urlaubs nicht vergessen können. Nach wie vor sind die Erinnerungen viel zu frisch. Der Urlaub wäre am Anfang fast zu Ende gewesen. Wobei das im Anbetracht der Umstände eine sehr egoistische Sichtweise ist.
Der IC bis Emden-Außenhafen fuhr anders als sonst, was an den Baummaßnahmen der Bahn über die Osterferien lag. Trotz der Nebenstrecke hätten wir die Fähre nach Borkum pünktlich bekommen. Es kam anders. Bei der Bahn wird so was euphemistisch als Personenschaden bezeichnet. Ein Suizide auf der Strecke. Aber nicht nur das, wir saßen in dem Zug, mit dem ein Rollstuhlfahrer sein Leben beendete. Vor Dülmen gab es ein plötzlich ein Geräusch, als wenn den Schienen Schotter gegen das untere des Zuges springen würde. Es dauerte einige Zeit an, bis der Zug zum Stillstand kam. Die Vibrationen im Zug zusammen mit der Bremsung sorgten bei mir für eine Vorahnung — als Pendler kennt man die normalen Zuggeräusche.

Notaus

Bru-nO / Pixabay

Aus dem Leben gerissen

Kurz danach kam dann die Durchsage. Mir war sofort klar, dass es rund zwei Stunden dauern würde, bis die Strecke wieder freigegeben würde. Das bedeutet in jedem Fall, dass wir unsere Fähre nach Borkum nicht bekommen konnten. Zu allererst dachte ich jedoch an den Lokführer. Für mich gehört es mit zu den schlimmsten Dingen, die einem passiert können. Man sieht einen Menschen auf den Gleisen und kann nichts, aber auch gar nichts tun. Bleibt er auf den Schienen, wir er in jedem Fall von Zug überholt werden. Für unseren Lokführer war es bereits das dritte Mal. Es gibt kein Notaus, mit dem ein Zug unmittelbar zum Stilstand kommt. Keine Möglichkeiten, das Leben, was so offensichtlich weggeworfen werden soll, noch zu retten.
Als Reisenden bleibt einem nicht viel an Optionen. An der Situation kann man nichts ändern. Aber man kann es dem Zugpersonal in so einer Situation zumindest leichter machen. Sicht nicht aufregen, nicht beschweren. Geduldig warten, bis der eintreffenden Notfallmanager die Sachen übernimmt und den weiteren Ablauf organisiert. Wir konnten in der Zeit die Fähre umbuchen und dem Hausmeister der Ferienwohnung Bescheid sagen. Zwei Stunden Verspätung hatten wir am Ende. Das Geräusch des Zuges beim Überfahren des Menschen werde ich nie vergessen. Auch nicht die Augen des Lokführers, als er zum ersten Mal durchs Abteil ging.

Notaus fehlt oft

Es sind Situationen, wo man sich einen Schalter für Notaus wünscht, so wie er in Fabriken für Fließbänder und Maschinen zu finden ist. Alles sofort anhalten, am liebsten ungeschehen machen. Das Leben hat aber nicht einen solchen Schalter. Für den Rollstuhlfahrer war dagegen vermutlich der Suizide seine Art von Notaus. Die Flucht aus einem Leben, welches er so nicht mehr wollte.
Eigentlich wollte ich über heitere Dinge schreiben, über den schönen Urlaub. Zumindest aber über Bücher und nicht über den Tod. Wobei es bei vielen Büchern, die ich lese, auch um den Tod geht — das haben Krimis so an sich. Keine gute Überleitung, aber nach so einer „Einleitung“ gibt es auch keine wirklich gute Überleitung.
Für mich ungewöhnlich habe ich auf der Fahrt nach Emden und später auf dem Katamaran, mit dem wir dann Borkum erreichten, nicht gelesen. Dabei lag das nicht am Vorfall, denn auch bis Dülmen verbrachte ich meine Zeit nicht mit dem Buch „Dschiheads“ von Wolfgang Jeschke. Irgendwie kam ich mit dem Buch nicht voran. Erst währende der Rückfahrt im IC nach Köln wurde mir klar, warum.

Wechsel zum Schlechteren

Das war dann der Moment für meinen Notaus. Als ich erkannte, dass mir die Entwicklung der Handlung zu vorhersehbar ist. Das mich das Setting stört. Es ist nicht unbedingt ein schlechtes Buch, aber in jedem Fall keins, dass mir gefällt. Noch unterwegs kaufte ich mir dann den Krimi „Tod auf Borkum“, der mir schon auf der Insel ins Auge gestochen war. Bei so einem Titel warne meine Erwartungen nicht besonders hoch. Ich sollte entsprechend nicht enttäuscht werden. Tatsächlich ist der Roman bisher — aber das spare ich mir dann noch für eine ausführliche Rezension auf. Entscheidend für mich jedoch ist, dass ich das Buch trotzdem lesen kann. Ein Unterschied zu „Dschiheads“, welches ermüdete.
Wiederholt setzt sich bei mir die Erkenntnis durch, Bücher nicht zu Ende lesen zu müssen, nur um sie zu Ende zu lesen. Man kann auch vorher auf Notaus drücken und etwas neues anfangen. Sonst verschwendet man nämlich nur kostbare Zeit. Und Zeit ist Leben, was man nie verschwenden sollte.

2 Kommentare

  1. Ja das kenne ich auch….man kommt mit dem Buch einfach nicht voran. Einige Seiten ließt man doppelt um überhaupt was zu verstehen, man kann sich an den Inhalt des Buches nicht erinnern. Das kann aber auch bei Büchern passieren die Hochgelobt worden sind, man findet einfach nicht in das Buch.

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