Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Für mich ist Wonderful Berlin von Michaela Beck der beste Krimi, den ich in den letzten Monaten gelesen habe. Aus einer ganzen Reihe von Gründen.

Inhalt geht vor Lob

Bevor ich mich aber weiter dem verdienten Lob beschäftige, kurz zum Inhalt. Gerüchten zu Folge interessieren sich die Leserinnen und Leser auch für die Handlung eines Buches. Die Hauptfigur des Krimis ist der unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassenen Norbert Fröhlich. Zunächst schlug er sich mit Wachdiensten und als Detektiv herum, bis er zum Hartz IV Empfänger wurde. Als solcher befand er sich auch zu Beginn der Handlung auf dem Amt, genauer gesagt bei der Agentur für Arbeit. Allerdings verlief der Termin diesmal ganz anders:

Als Norbert Fröhlich die Augen wieder aufschlug, lag er auf dem Rücken und schaute direkt in das sirrende Licht von Neonleuchten. Es war so grell, dass es alles überflutete und in den Augen schmerzte. Wo war er? Blinzelnd versuchte er, sich an das Licht zu gewöhnen, und bemerkte schließlich neben den Leuchtstoffröhren quadratische Deckenplatten, die an den Rändern dunkler waren als in der Mitte. Das kommt durch den Luftzug entlang der Fugen, hatte er einmal in einer Heimwerkerzeitschrift gelesen. Der Luftzug zieht den Dreck an.
Quelle: Wonderful Berlin von Michaela Beck

Bereits der Anfang packt einen, mann will wissen, was hier passiert ist. Vor allem auch, weil man auf Grund des Klappentextes eine Vorahnung hat.

Wonderful Berlin

Couleur / Pixabay

Amoklauf in Wonderful Berlin

In Wonderful Berlin geht es um einen Amoklauf in der Agentur für Arbeit. Dieser findet statt, bevor die Handlung einsetzt. Als Leser wird man nur mit dessen Folgen konfrontiert. Mehre Tote, ein Schwerverletzter, der ins künstliche Koma versetzt werden muss so wie ein Held. Ja, Norbert Fröhlich wird zum Helden erklärt, weil am Anfang alle glauben, er hätte sich dem Amokläufer in den Weg gestellt. Bei sich daraus ergebenen Kampf mit dem Amokläufer und dem Versuch, ihm die Waffe zu entwenden, löste sich ein Schuss. Der Amokläufer wurde tödlich getroffen, Fröhlich verlor das Bewusstsein. Aus diesem erwacht er dann zu Beginn des Krimis. Was wirklich passiert ist, daran kann Fröhlich sich nicht erinnern. Genau aus diesem Umstand zieht der Krimi die Spannung. Liest man Wonderful Berlin, weiss man immer nur genau so viel wie die handelnden Figuren zusammen. Genau wie Fröhlich selber zu zweifeln beginnt, fängt man selber an zu zweifeln.
Der kann doch eigentlich nur selber der Amokläufer gewesen sein. Ein Polizist, der sich hat bestechen lassen. Der versucht hat, seine Kollegen mit rein zu reissen. Einer, der sich immer weiter auf der Spirale nach unten bewegt hat. Klar das der irgendwann durchdreht.

Urteile und Vorurteile

Immer wieder wird man durch die Handlung dazu gezwungen, sein Bild von Fröhlich über den Haufen zu werfen. Man rückt immer näher an die Figur heran, spürt dessen Angst und Verzweiflung unter der eigenen Haut. Die Welt um Fröhlich herum ändert ihre Meinung, vom Held wird er zum möglichen Täter. Obwohl noch nichts bewiesen ist, kommt er zur Vorverurteilung. Die Spannung bezieht Wonderful Berlin aus der Amnesie von Fröhlich. Er weiss tatsächlich nicht, was passiert ist, erfährt selber immer nur Bruchstücke.
Der ganze Krimi ist auch sprachlich auf sehr hohem Niveau erzählt. Es gibt im ganzen Buch nur eine einzige Stelle, über die ich gestolpert bin. Fröhlich kauft eine Flasche billigen „Grünen Veltiner“. Etwa später wird dieses dann entkorkt. Der Grünen Veltiner ist einer meiner Lieblingsweine. Davon habe ich schon einiges getrunken, auch aus dem höherpreisigen Segment. Für uns Deutsche sind Drehverschlüssel immer verbunden mit billigen Wein — was ein schreckliches Vorurteil ist. Bei über 90 Prozent des von mir getrunkenen Grünen Veltiners hatten die Flaschen einen Drehverschluss. Der ist auch bei guten Wein in Österreich durchaus üblich. Ein billiger Grünen Veltiner mit Korken, ich halte das für ziemlich unwahrscheinlich. Aber gut, das ist wirklich jammern auf höchsten Niveau.

Fazit

Wer Lust hat auf einen wirklich guten, ungewöhnlichen Krimi, kommt an Wonderful Berlin nicht vorbei. Das Buch ist absolut großartig. Persönlich verzichten würde ich lediglich auf Prolog (überflüssig) und Epilog (etwas zu kitschig), aber die sind wohl den Verlagsvorgaben geschuldet. Michaela Beck hat mit ihrem Buch bewiesen, dass man einen guten Krimi auch ganz ohne perverse Serienmörder auskommt. Die Tat und das was folgt, ist erschrecken realistisch und absolut glaubwürdig. Für mich war das nach Tiefschlägen wie diesem eine Wohltat beim lesen.

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