Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Seit über 15 Jahren sind Züge so was wie meine zweite Heimat geworden. In der Zeit habe ich viel erlebt, einiges verpasst und vermisst— drahtloses Internet gehört jedoch nicht dazu. Ab und an rufe ich zwar E-Mails ab, lese RSS-Feeds oder schau kurz etwas nach. Ansonsten reichen mir die (digitale) Zeitung und meine eBooks für die Fahrt. Und auch auf Strecken, wo zwischendurch kein Empfang ist, bricht mir kein Schweiß aus. Es geht auch ganz gut ohne. Wer unbedingt im Zug auf dem Weg ins Büro ode zum Meeting noch was vorbereitet, gehört für mich ehedem zu der Art Mensch, die früher im Bus auf dem Weg zur Schule die Hausaufgaben gemacht hat.

Didgeman / Pixabay

Das sich der Ausbau des kostenlosen WLAN in den ICEs (und vor allem dort in der 2. Klasse) jetzt möglicherweise verzögert und erst gegen Ende 2017 vollständig zur Verfügung steht, berührt mich wenig. Eher befürchte eine Verschlechterung der Ruhesituation im Zug. Freies WLAN, ob mit oder ohne Begrenzung, lädt dazu ein, genutzt zu werden.

Was mich aber wirklich berührt, ist das Zugunglück in Bad Aibling (Bayern). Zwei Nahverkehrszüge, die frontal aufeinander stießen. Zehn Tote, zahlreiche Verletzte und Schwerverletzte. Um genau so was, gerade auf eingleisigen Strecken zu verhindern, gibt es mehrere technische Sicherungssysteme. Fahren zwei Züge auf dem selben Gleis aufeinander zu, würde sie, so ist zu lesen, im Notfall automatisch und rechtzeitig gebremst werden. Dieses Sicherungssystem war auch in Bad Aibling vorhanden.

Nach derzeitigen Kenntnisstand der Ermittler soll es sich jedoch so verhalten haben, dass der zuständige Fahrdienstleiter (die, soweit ich weiß, in den Stellwerken tätig sind) die technische Sicherung zwei Mal in Folge außer Kraft gesetzt hat, weil er der Meinung war, alles habe schon sein Richtigkeit. Zu dem Zeitpunkt, als er seinen Irrtum erkannte, war es bereits zu spät um das Unglück zu verhindern. Die Klärung der genauen Umstände und die Gewichtung von Schuld oder Teilschuld wird die Staatsanwaltschaft in die Hand nehmen.

Ob nun Technik oder am Ende der Mensch ein Risikofaktor ist, spielt für mich keine Rolle. Der Unfall macht mir deutlich, wie anhängig ich eigentlich von beidem auf dem Weg zur Arbeit und wieder zurück bin. Wenn ich mich in den ICE setze, vertraue ich mein Leben anderen Menschen und der Technik an. Anders als beim Autofahren (was auch mit Risiken verbunden ist) habe ich keine Einflussmöglichkeiten. Auf mögliche Gefahren kann ich nicht reagieren.

Diese Hilflosigkeit haben vielleicht auch die beiden Lokführer gespürt, als sie gewahr wurden, was in wenigen Augenblicken passiert. Sie konnten nichts mehr tun, auf der Schiene kann man nicht mehr ausweichen. Der Tod ist häufig nicht angenehm. Wenn man ihm aber so ins Auge sieht, wird er besonders grausam.

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