Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Um ehrlich zu sein, entzieht es sich meiner Kenntnis, was mein Großvater damals im Krieg getan hat. Soldat war er, wie viele andere seiner Generation. Von Russland erzählte er nur etwas, ansonsten wurde zu dem Thema geschwiegen. Gefragt, wirklich nach gefragt, habe ich nie. Mittlerweile ist es zu spät, um ihn zu fragen.

Aber es geht hier gar nicht um den Krieg und die Frage, ob mein Großvater darin getötet hat oder nicht. Sondern um eine n ganz anderen Mord — wenn man denn glauben möchte, dass dies überhaupt ein Mord gewesen. Mein Bruder damals war davon fest überzeugt und schrie meinen Großvater entsetzt an, als er von der Schule kam: „Du Mörder!“. Er wusste, warum der Kaninchenstall leer war. Das was passiert war, musste er sich auch nicht zusammenreimen mit seinen neun Jahren, sondern es war offensichtlich, denn die Tiere hingen zum ausbluten draußen an der Wäscheleine.

Meinen Großvater hat diese Anschuldigung damals schwer getroffen. Das Schlachten selber fiel ihm mit Sicherheit nicht leicht, denn ein zwei Schnäpse, bevor er das Beil zur Hand nehmen konnten, mussten sein. Nach den Kaninchen und er Reaktion meines Bruders weigerte es sich fortan, überhaupt irgendwas zu schlachten. Die letzten unserer Hühner mussten wir daher umständlich zu einer Schlachterei in Brünen bringen.

Warum ich überhaupt auf das Thema komme, erklärt sich, wenn man die Meldung aus den letzten Tagen über den Zoo in Kopenhagen mitbekommen hat. Dort wurde eine 18 Monate alte Giraffe getötet und an Löwen verfüttert. Für Entrüstung sorgte der Umstand, dass dies öffentlich geschah. Der „heimliche“ Tod tausender so genannter Nutztiere tägliche in Deutschland dagegen interessiert weniger. Man sieht es dem im Supermarkt verpackten Fleisch auch nicht an. Wie zu erfahren war, wurden auch Kinder Zeuge der Verfütterung. Wobei, wie die taz schreibt, handelte es sich um eine angekündigte Veranstaltung. Niemand wird gezwungen, dieser beizuwohnen.

Grundsätzlich kann man über zwei Aspekte bei diesem „Vorfall“ streiten. Einmal darüber, ob man so was Kindern zumuten kann oder nicht. Und dann noch, wie gerechtfertigt unsere Einteilung in Nutztiere und andere, nicht für den Verzehr vorgesehen Arten ist. Moralisch ist es völlig belanglos, ob man ein Schwein, Huhn, Katze, Hund oder ebene eine Giraffe schlachtet. Tier ist Tier. Es ist nur ein kulturell bedingtes Empfinden, warum uns das Schlachten bestimmter Arten zuwider ist. Meine Bedenken, und das sage ich als jemand, der sich lange Zeit bewusst vegetarisch ernährt, haben sich in dieser Hinsicht aufgelöst. Essen würde ich alles, was mir schmeckt. Und ja, ich würde auch Giraffe probieren. Strauß, Känguru, Zebra, Krokodil habe ich alles schon gegessen. Ob sich jemand vegetarisch oder vegan ernährt, ist seine eigene Entscheidung. Löwen allerdings sollte man da ganz aus dem Spiel lassen. Die reißen in freier Wildbahn auch Giraffen.

Fleisch oder fleischlos, dass ist ein Thema, über das sich lange und kontrovers diskutieren ließe. Für mich spannender ist jedoch der zweite Aspekt, nämlich die Frage danach, ob Kinder beim schlachten von Tieren zusehen sollten. Sofern sich Kinder und Eltern nicht ausschließlich vegetarisch (oder vegan) ernähren, halte ich es für durchaus angebracht. Jeder sollte wissen woher das kommt, was man am Ende auf dem Teller hat. Es sorgt für einen bewussteren Umgang und weiß es besser zu schätzen.

Als ich so alt war wie mein Bruder zum Zeitpunkt des „Kaninchenvorfalls“, war ich im Sommer bei Verwandten auf dem Bauernhof. Da habe ich dann bei Hausschlachtung zugesehen. Mitbekommen, was alles aus dem Schwein gemacht wurde. Mich hat es nicht traumatisiert, ich fand es faszinierend. Selbstverständlich haben wird die Kühe im Stall gestreichelt und auch die Schweine (wobei man bei denen immer etwas aufpassen musste). Die frische Mettwurst hat mir hinterher trotzdem geschmeckt. Vielleicht auch, weil ich wusste, woher sie kommt. Respekt vor etwas kann auch über den Tod hinaus gehen. Das ich Projekte wie „Meine kleine Farm“ für gut heiße, ist kein Geheimnis.

Bei der Schlachtung der Kaninchen habe ich überings, aber das weiß mein Bruder bis heute nicht, assistiert. Für mich war es auch kein Mord und mein Großvater entsprechend kein Mörder, sondern der natürliche Lauf der Dinge. Der endete in diesem Fall für die Kaninchen im Ofen, zusammen mit Zwiebeln und Rotwein. Geschmeckt hat das wiederum auch meinem Bruder. Ob man in dem Alter schon Gerichten serviert bekommen sollte, die zumindest noch Restalkohol enthalten können, ist dann wieder ein ganz anderes Thema.

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