Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Fußball ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal. Ebenfalls egal ist mir, ob ein Mensch sich zu Frauen oder Männer hingezogen fühlt. Dagegen finde ich beschämend, wie viele meine Mitbürgerinnen und Mitbürger immer noch Probleme damit haben, wenn jemand offen darüber spricht. Wie zum Beispiel der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat. Alleine schon die Formulierung, die in einigen Zeitungen zu lesen ist, stößt auf. „Bekannt hat“ — als ob es um etwas verwerfliches geht, wie einen Terroranschlag. Wobei, wenn man die Reaktion homophober Mitmenschen betrachtet, empfinden die es wohl wirklich als Anschlag auf sich selber und ihr Weltbild.

Einen so genannten Skandal gibt es nicht. Jedenfalls nicht in Bezug auf das, was Hitzlsperger von sich gegeben hat — Outing möchte ich hier als Begriff vermeiden, denn für mich schwingt da auch leicht etwas negatives mit. Skandalös ist dagegen, dass es immer Menschen gibt, die Homosexualität für eine Krankheit halten. Die aktiv die völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen verhindern. Die der Meinung sind, gleichgeschlechtliche Paare sollten besser keine Kinder groß ziehen, da die Kinder ansonsten die Homosexualität erlernen könnten.

Es macht traurig zu wissen, auf wie viel mehr Ablehnung Hitzlsperger gestoßen wäre, wenn er sich noch als aktiver Fußballspieler dazu bekannt hätte, dass er Männer liebt. Erst wenn das wirklich egal wäre, ist unsere Gesellschaft auch tatsächlich im 21. Jahrhundert angekommen. Zu fragen, ob es von Hitzlsperger mutig war, ist die falsche Frage. Denn der entscheidende Punkt ist der, dass es noch immer viel Mut erfordert, über seine sexuelle Orientierung zu sprechen, die von dem abweicht, was Einrichtungen wie die katholische Kirche, Männergesangsvereine, Schützenbünde und andere als „normal“ bezeichnen.

Genauso traurig ist es auch, wie stark trotz aller Bekenntnisse von Entscheidungsträgern, dieses „Idealbild“ immer noch in der Gesellschaft verankert ist. Ein Mann, eine Frau, ein Kind — die Konstellation, aus der Werbung. Ein Motiv mit zwei Männer und einem Kind für eine Bausparvertrag der Sparkasse? Darauf werden wir wohl noch warten müssen.

Hitzlsperger ist kein homosexuelle Fußballer mehr, weil er kein Fußballer mehr ist. Wohl auch aus berechtigter Angst vor den Folgen hat er bis zum Ende seiner Karriere gewartet. Sotschi und Russland können uns in dem Zusammenhang eigentlich egal sein, denn wir haben in dieser Hinsicht noch genügend Balken im eigenen Auge. Auch wenn die Formen der Diskriminierung in Russland erheblich heftiger sind, so gibt es noch genügend Gift bei uns, was still und leise träufelt.

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