Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Die Vorwürfe gegen die Band Rammstein werden derzeit nicht nur in den sozialen Medien kontrovers diskutiert.

Ein Feuersturm

Machen wir mal ein kleines gedankliches Experiment, quasi als Warm-up. Sicherheitshinweis: Es ist fiktional.

Nehmen wir mal an, auf einem Parteitag der Grünen würden einem führenden Politiker der Grünen am Rande der Veranstaltung junge Frauen zum Zweckes des Beischlafs zugeführt werden. Die Frauen, voller Bewunderung für den Politiker, lassen sich zu etwas überreden, was sie eigentlich nicht wollen. Zum Teil, so käme es heraus, sei viel Alkohol und wohlmöglich auch K.-o.-Tropfen im Spiel gewesen.

Über diesen Politiker und die Grünen würde ein Feuersturm der Empörung hinwegfegen. Für den Politiker würde das mindestens das Ende seiner Karriere bedeuten, die Grünen hätten es bei den nächsten Wahlen extrem schwer. Mitleid wäre hier jedoch nicht angebracht, wohl aber Solidarität mit den Opfern.

Merkwürdigerweise bleibt dieser Feuersturm der Empörung im aktuellen Fall von Till Lindemann aus, vermutlich auch deshalb, weil er kein Politiker der Grünen ist, sondern Sänger der Band Rammstein.

Möglicherweise lehne ich mich jetzt sehr weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, es gäbe eine nicht gerade kleine Schnittmenge zwischen denen, die bereitwillig den Grünen-Politiker schlachten würden und jetzt Lindemann vehement verteidigen.

Selbstverständlich gilt erstmal die Unschuldsvermutung, das sollten wir bei der gebotenen Solidarität mit den Opfern des (ich nenne es jetzt mal sehr deutlich)sexuellen Missbrauchs berücksichtigen.

Das Ende von Rammstein?

Persönlich würde ich mich nicht als Fan von Rammstein bezeichnen, einer Band, die nicht nur eine unangemessene Namenswahl hat und auch noch extrem viel mit Pyrotechnik auf der Bühne spielt — geschmacklos ist noch eine Untertreibung. Es ist aber so, dass mir durchaus ein paar ihre Lieder gefallen haben. Die Stimme von Lindemann, der Sound, das ist schon beeindruckend. Da hört man dann auch mitunter bei den Texten nicht so genau hin.

Etwa bei „Feuer frei!“, in dem folgende Zeilen auftaucht:

Geadelt ist, wer Schmerzen kennt
Vom Feuer, das in Lust verbrennt
Ein Funkenstoß in ihren Schoß
Ein heißer Schrei, Feuer frei!

Für das heute Headerbild habe ich Midjourney eine Bild erstellen lassen. Den ursprüngliche Entwurf mit genau dieser Textpassage verwarf ich allerdings. Mich hat es erschreckt, wie eindeutig die KI den Subtext interpretierte. Eigentlich nahm ich an, es gebe einen Filter für bestimmte Dinge. Nun ja. Eine andere Passage aus dem Lied führte dann zu einem Ergebnis, was ich veröffentlichen kann.

Vom Sänger und der Band gibt es zur Stunde noch keine ausführliche Stellungnahme. Dafür aber eine Reaktion des Verlages Kiepenheuer & Witsch, der sich mit sofortiger Wirkung vom Sänger und Autor Lindemann trennt.

Vorverurteilung oder Kopf im Sand

Die Trennung von Lindemann hat im Übrigen nichts mit Cancel Culture zu tun. In erster Linie nennt sich das Vertragsfreiheit. Zudem reagiert der Verlag angemessen, wenn vielleicht auch etwas spät. Der seltsame Geschmack von Herrn Lindemann war ja offensichtlich auch schon früher erkennbar.

Es geht auch nicht um Vorverurteilung, denn niemand spricht derzeit von einer Vergewaltigung. Derzeit steht ein paar Vorfälle im Raum und die Sache, Songtexte, die bei jetzt genauerem Hinsehen einen sehr merkwürdigen Beigeschmack bekommen. So was kann man nicht unkommentiert stehen lassen und einfach abwarten, was strafrechtlich dabei herauskommt.

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