Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Im Gegensatz zu Schwangerschaften kann man politische Entscheidungen nicht abtreiben. Aber hintertreiben. Das dies beim Mindestlohn passieren würde, war von Beginn an absehbar. Es überrascht allerdings, wie früh Arbeitgeber damit beginnen, sich Maßnahmen zur Umgehung des Mindestlohns auszudenken.

Der Mindestlohn soll laut Beschluss der Bundesregierung ab dem 1. Januar 2015 gelten, zunächst mit Übergangsfristen für bestimmten Berufsgruppen, wie zum Beispiel Zeitungszusteller, die schrittweise an den Mindestlohn herangeführt werden sollen, der dann erst vollständig ab 2017 greifen wird. Eine gute Übersicht über die Ausnahmeregeln findet sich auf der Aktions-Seite des DGB. Das diese Ausnahme an sich schon eine Sauerei sind und der ursprünglichen Idee vom Mindestlohn zuwider laufen, liegt auf der Hand.

Den Arbeitgebern scheinen diese Ausnahmen jedoch nicht zu reichen. Mit Schützenhilfe aus dem Bundesfinanzministeriums wollen sie den Mindestlohn hintergehen, in dem für bestimmte Tätigkeiten (zum Beispiel Zustellung, Straßenreinigungen und Personenbeförderungen) nicht die Anfangs- und Endzeiten erfasst werden soll. Statt dessen soll der Arbeitgeber die Arbeitsdauer für die Tätigkeit festlegen.

Folgendes würde sich dadurch ergeben. Für die Zustellung sagen wir mal des Kölner Stadt-Anzeigers in einem Bezirk in Nippes setzt der entsprechender Arbeitgeber drei Stunden pro Tag an. Für diese drei Stunden wird selbstverständlich der Mindestlohn gezahlt, was dann ab 2017 eben 8,50 Euro pro Stunde ergeben würde. Tatsächlich benötigt der Zusteller jedoch fünfeinhalb Stunde — möglicherweise nicht, weil er trödelt, sondern weil sich die Arbeit gar nicht in drei Stunden bewältigen lässt. Würde er in den veranschlagten drei Stunden fertig sein, bekäme er 25,50 Euro für seine Leistung. Bei den aber tatsächlich benötigten fünfeinhalb Stunden bekommt er genau das Gleiche. Nur liegt hier der Stundenlohn bei rund 4,64 Euro.

Das Beispiel lässt sich so auch auf die anderen Tätigkeiten übertragen, für die geplante Verordnung greifen wird. Das machtdefacto den Mindestlohn so löcherig wie ein Schweizer Käse.

Das der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger die Verordnung ausdrücklich begrüsst, wie der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner heutigen Ausgabe schreibt, verwundert nicht. Schließlich gehörten die Zeitungsverlage von Anfang an, als zum ersten Mal über die Einführung eines Mindestlohns gesprochen wurde, zu denen, die sich strikt dagegen aussprachen. Aus (falscher) Rücksicht wurde daher beim Beschluss des Mindeslohns im Bundestag eine Übergangsregelung geschaffen — mit der die Verlage aber nicht zufrieden waren.

Es wäre jetzt dringend geboten, die Verantwortlichen aus dem Bundesfinanzministerium zur Rede zu stellen, denn die Verordnung greift das Mindestlohngesetz im Kern an. Das kann und darf nicht sein. Zu keiner Zeit sollte in einer Demokratie ein Verwaltung, der lediglich die Umsetzung obliegt, so viel Raum gegeben werden, dass sie Gesetze und Beschlüsse außer Kraft setzt. Ansonsten kann man nämlich die gewählten Politiker gleich abschaffen und eine bürokratische Verwaltung als Regierung einsetzen.

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