Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Recht und Gerechtigkeit sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Nicht immer ist das eine rein subjektive Wahrnehmung.

Rechtssystem ausgeschlossen

Schreiben über Gerechtigkeit und Justizirrtümer (beziehungsweise das, was man dafür hält) ist eine gefährliche Sache. Man läuft Gefahr, in eine Art allgemeines Justiz-Bashing abzudriften. Daher vorweg eine Standortbestimmung. Persönlich halte ich die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland für wichtig und eine große Errungenschaft. Nach wie vor glaube ich auch fest daran, dass unser Rechtssystem auf soliden demokratischen Füßen steht. Leider gibt es aber immer wieder Einzelfälle, die diesen Glauben erschüttern können — eben auch in Deutschland.

Bevor ich aber auf einen aktuellen Fall in unserem Land zu sprechen komme, wandern wir gemeinsam über den Atlantik in die USA. Meine Frau und ich haben gestern Abend eine bewegende Dokumentation über eine ehemalige Schulklasse gesehen. In „Die Klasse von 9/11: 20 Jahre danach“ werden einzelne Schüler:innen einer Grundschulklasse porträtiert. Einer Grundschulklasse, die der damalige US-Präsident George W. Bush am Morgen des 11. Septembers 2001 besuchte. Während der vor der Klasse saß und den Kindern beim Lesen lernen zuschaute, wurde ihm die Nachricht vom Terroranschlag überbracht.

In der Dokumentation wird über den Bruder einer Schülerin und einen Schüler berichtet, die aus meiner Sicht Opfer des Justizsystems wurden. Einzig und allein aus dem Grund, weil sie „People of Color“ sind.

Weiße Gerechtigkeit

Gerechtigkeit, so der Eindruck angesichts der beiden Fälle, scheint es in vielen Gegenden der USA nur für Weiße zu geben. So wurde etwas ein ehemaliger Schüler trotz aus unserer Sicht guter Sozialprognose zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er angeblich mit Drogen handeln wollte. Diese hatte man gefunden, als er nicht angeschnallt im Auto fahrend angehalten wurde. Da er nicht weiß ist, wurde der Wagen durchsucht. Gegen den jungen Mann sprachen ein paar kleine Vorstrafen, einer abgesessenen Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vor allem seine Hautfarbe. Unschuldig musste er seine Schuld eingestehen, um nicht zu einer höheren Strafe verurteilt zu werden. Mit Gerechtigkeit hat das wenig zu tun, mehr mit einem alttestamentlichen Rechtsverständnis.

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.

Wir Deutsche sollten uns allerdings an dieser Stelle aus vielen guten Gründen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Ein Gerichtsurteil aus Thüringen diese Woche lässt nicht nur Zweifel an Gerechtigkeit aufkommen, sondern auch die Frage, ob die Richterin noch auf dem Boden von Gesetz und Verfassung steht.

Vor vier Jahren machten zwei rechtsextreme Männer Jagd auf Journalisten, prügelte sie zu Boden und verpassten einem eine lebensgefährliche Schnittwunde. Allein schon der späte Zweitpunkt des Urteils fühlt sich wie eine Verschleppung an. Die Strafen, wenn man sie überhaupt so bezeichnen kann, fielen extrem mild aus.

Rechts blind

Der eine Täter wurde zu 200 Sozialstunden verurteilt, der andere zu einem Jahr auf Bewährung. Der absolute Hammer ist jedoch die Begründung des Gerichts für dieses milde Urteil. Es sei kein gezielter Angriff auf die freie Presse gewesen, denn die Täter hätte die beiden Journalisten für „Zecken“, als für Angehörige der linken Szene gehalten. Unterschwellige Aussage dabei ist wohl, dass es ok ist, politisch links stehende Menschen zu verprügeln und lebensgefährlich zu verletzen.

Ein befremdliches Rechtsverständnis, welches mit Gerechtigkeit wenig gemein hat. Mir fällt in diesem Zusammenhang wieder ein Sachbuch ein, über das ich vor einigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung las. In „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“ von Benjamin Lahusen geht es um Kontinuität der Rechtssprechung von 1943 bis 1948 und darüber hinaus. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, dass der Rechtsweg weiterhin größtenteils garantiert werden konnte. Ob das wiederum mit Gerechtigkeit zu tun, sei bei gleichem Personal dahingestellt.

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