Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Eine Autobiographie ist vermutlich nur für diejenigen kein Thema, die von ihrer eigene Bedeutungslosigkeit felsenfest überzeugt sind. Alle andere werden sicher das eine oder andere Mal den Moment „das müsste man eigentlich aufschreiben“ erlebt haben. Je nach Gemütszustand erscheint nichts zu banal, um es nicht irgendwo festzuhalten.

Blog als Mittel zur Erinnerung

Als Blogger muss ich bei dem Thema Autobiographie vorsichtig sein. Würde ich einen normalen Themen-Blog betreiben, könnte ich hemmungslos lästern. Dieser Blog ist aber zumindest zum Teil auch eine Art Autobiographie. Er hilft mir, mich an Dinge aus der Vergangenheit zu erinnern. Allerdings gehen die Einträge aus naheliegende Gründen nicht bis in meine Kindheit zurück.
Erinnerungen können Fluch und Segen zugleich sein. Hier im Blog geht es überwiegen um Einstellungen und Empfindungen, weniger um Begebenheiten oder eigene Lebensereignisse. Mein Blog ist meine Sicht auf die Dinge. Auf Dinge die mich bewegen, mitunter auch auf Dinge, die mich ausmachen.

Autobiographie in Kurzform

aitoff / Pixabay

Autobiographie als App

Ob ich eine jemals eine Autobiographie schreiben werde, diese Frage stellt sich mir nicht. Momentan sehe ich keinen Bedarf darin. Mit Sicherheit würde auch mein Blog nicht als Vorlage für ein Manuskript einer Autobiographie herhalten. Obwohl mich eine andere Form der gedruckten Verwertung schon reizen würde.
Das ich überhaupt auf das Thema gestoßen bin, ist im Prinzip Schuld der Süddeutsche Zeitung, die heute im Teil „Panorama“ einen Artikel „Voll das Leben“ brachte.
Darin ging es um selbst veröffentlichte Biographien, die mittlerweile nicht nur Prominente schreiben (lassen). Quer durch alle Schichten würden man seine Lebenserinnerungen aufschreiben wollen, auch wenn man erst kürzlich die Phase des Drei-Käse-Hochs hinter sich gelassen hat.
Praktischer Weise gäbe es dafür, so die SZ, jetzt eine App die einen mit passenden Fragen die Lebensgeschichte aus der Nase zieht. Unpassenderweise wirkt der Artikel etwas wie Werbung für die App Keosity. Mehr als einmal stellte ich mir beim lesen des Textes die Frage, warum ich meine persönliche Lebensgeschichte einer App anvertrauen soll. Vor allem dann, wenn die Biographie dann nur über das iPad zugänglich ist.

Selbstdarstellung eines Lebens

Ob eine Autobiographie nicht möglicherweise lediglich der Selbstdarstellung dient, erübrigt sich als Frage im Zeitalter der sozialen Netze. Facebook, Instagram und all das andere Zeug wird bereits im Kinderzimmer genutzt. Letztendlich generieren die sozialen Netze auch einen Stream eigener Lebensereignisse, wenn man den fleißig genug alles um einen herum „dokumentiert“.
Verwerflich ist das nicht, manchmal nur etwas nervig, wenn zum Beispiel vor dem Essen das Foto gemacht wird.
Wenn wir ehrlich sind, glauben wir in unserem tiefsten Inneren daran, dass das eigene leben schon irgendeine Bedeutung hat. Die sozialen Netze dienen genau so wie die Autobiographie der Selbstbestätigung unserer These.

Geschichte von unten

Im besten Fall kann eine Biographie, ob selber zu Lebzeiten verfasst, anderen ins Notizbuch diktiert oder posthum aufgeschrieben eine Bereicherung sein. Eine (Auo-)Biographie kann einen bestimmten Blickwinkel auf historische Ereignisse wiedergeben. Sie kann aber auch Anlass zu einer kompletten Veränderung der Gesellschaft werden, wie man am „Neuen Testament“ sieht. Das ist letztendlich nichts anderes als eine Biographie — ob sie tatsächlichen Ereignissen folgt oder erfunden wurde, ist dabei zweitrangig.
Ganz persönlich finde ich Biographien spannend, die Geschichte von unten erzählen. Mich interessiert weniger, was Wilhelm der II. am 22. April 1915 zum Frühstück hatte oder um welche Entscheidungen er sich drückte. Sondern mich interessiert die Sicht der Menschen, die in den Schützengräben hockten und um ihr Leben zitterten.

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