Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Das Wahlrecht hat in Deutschland einen langen Weg hinter sich. Es ist verknüpft mit dem Kampf um Demokratie und Freiheit.

Persönliche Eindrücke

Seit über 20 Jahren bin ich immer wieder gerne als Wahlhelfer tätig. In mittlerweile drei Städten und zwei Bundesländern. Ein paar Unterschiede sind mir dabei aufgefallen. Aus meiner Wahrnehmung am besten organisiert ist es in Köln gewesen, mit umfassenden Schulungen für die Wahlhelfer. Gerade in Köln wurde mein Eindruck gestärkt, dass die ehrenamtliche Arbeit der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer ein wichtiger Baustein unserer Demokratie ist.

Über die Jahre haben sich bei mir auch ein paar Erkenntnisse verfestigt. Obwohl (oder gerade weil?) ich beruflich viel digital unterwegs bin, halte ich nach wie vor die Art und Weise, wie bei uns in Deutschland gewählt wird, für richtig. Kein Wahlautomat, sondern eine Stimmabgabe auf Papier. Jede einzelne Stimme ist nachzählbar. Ja, das macht an Wahlabenden auch immer Arbeit, dennoch fühlt es sich richtig an.

Beim Auszählen der Stimmen stellt man sich manchmal die Frage, warum die Menschen überhaupt ins Wahllokal gekommen sind. Kreativ beschriftete Stimmzettel, Frustkommentare auf dem Stimmzettel und Ähnliches, was lediglich zu einer ungültig abgegebenen Stimme wird. Genau das ist aber auch Demokratie. Niemand wird gezwungen, eine gültige Stimme abzugeben. Genauso, wie niemand dazu gezwungen wird, überhaupt wählen zu gehen. Es ist ein Wahlrecht und keine Wahlpflicht.

Wahlpflicht statt Wahlrecht?

Geht es nach den Jusos in Emden, soll sich das jedoch zukünftig ändern. Aus dem Wahlrecht soll eine Wahlpflicht werden. Es wird damit argumentiert, dass dies die Demokratie stärken würde. Aber nicht nur das, sondern es würde auch angeblich eine soziale Schieflage verhindern, da Nichtwähler:innen häufig aus sozial benachteiligten Gruppen stammten.

Extreme Parteien sollen laut Jusos bei geringerer Wahlbeteiligung leichter haben. Zudem beziehen sich die Jusos auf Länder wie Belgien, wo es bereits eine Wahlpflicht gibt und wo es angeblich positive Erfahrungen gibt. Das mit der positiven Erfahrung und den extremen Parteien scheint wohl nicht gut recherchiert worden zu sein von den Jusos, denn die letzte Wahl in Belgien bestätigte den Rechtsruck — trotz Wahlpflicht.

Was die soziale Schieflage angeht, würde eine Wahlpflicht ein Bußgeld für die sozial Benachteiligten eine höhere Belastung darstellen als zum Beispiel für nichtwählende Akademiker. Man würde also genau die Gruppe besonders stark sanktionieren, die man eigentlich integrieren will.

Völlig ausgeblendet werden auch verfassungsrechtliche Fragen, da eine Wahlpflicht mit dem Grundgesetz kollidieren könnte. Die negative Wahlfreiheit (das Recht, nicht zu wählen) wird vom Bundesverfassungsgericht als Teil der Wahlfreiheit gesehen. Die „Enthaltungsoption“ löst dieses Problem nur teilweise – wer nicht ins Wahllokal geht, wird trotzdem sanktioniert.

Mein Fazit

Das Wahlrecht ist eine Einladung und so sollte es auch bleiben. Demokratie lebt vom Mitmachen, daraus sollte aber kein staatlicher Zwang werden. Wer Erfahrungen möchte, wie sich gesellschaftlicher Druck auf die Bürger:innen anfühlt, zur Stimmabgabe zu gehen, kann sich bei Bedarf mit Menschen unterhalten, die dies in der DDR erlebt haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner