Obdachlos kann man auch in Land wie Deutschland sein. Die meisten von uns ignorieren die Betroffenen im Alltag.
Unwissenheit ist kein Segen
Obdachlos in Deutschland — kein leichtes Thema, was ich mir da ausgesucht habe für heute. Das fängt bereits beim Bild für den Artikel an. Es versteht sich für ich von selber, kein Bild eines Obdachlosen zu verwenden. Insbesondere keins, was den Menschen in seiner Würde verletzt. Ein anderes Bild, was einen glücklichen Obdachlosen auf der Straße zeigt, könnte wieder bei den Lesenden Reflexe auslösen. Daher einfach nur ein Stück Straße als Symbol dafür, dass auch in einem so reichen Land wie Deutschland viele Menschen auf der Straße leben.
Wie viele wirklich bei uns obdachlos sind, darüber gibt es zumindest seit Ende vergangenen Jahres ein klareres Bild. Erstmalig hat die Bundesregierung eine Studie zum Thema in Auftrag gegeben und konnte somit Zahlen vorlegen. Bevor wir auf die konkreten Zahlen zu sprechen kommen, lassen wir das noch mal sacken. Die ganzen Jahrzehnte vorher gab es keine offiziellen Zahlen zur Obdachlosigkeit in Deutschland. Was im Übrigen kein deutsches Alleinstellungsmerkmal ist, den im restlichen Europa sieht fast überall genau so aus. Um es mit den Worten des finnischen Sozialarbeiters Juha Kahila zu sagen: „Wir wissen exakt, wie viele Hühner wir in der EU haben, aber nicht, wie viele Menschen kein Dach über dem Kopf haben“ (zitiert nach SZ, 17. Januar 2023, 17:23 Uhr).
Diese Unwissenheit ist nichts anders als eine Schande.
Unfreiwillig obdachlos
Laut Bericht der Bundesregierung soll es in Deutschland 263.000 Menschen ohne festen Wohnsitz geben. Davon leben fast 40.000 Menschen dauerhaft auf der Straße. Obdachlos ist von denen wohl niemand freiwillig. Es reich ein Schicksalsschlag, der einen komplett aus der Bahn wirft. Mit anderen Worten, es kann jeden von uns treffen. Allein deshalb ist mehr Verständnis für die Situation der Obdachlosen angesagt.
Die Mehrheit der Betroffenen verfügt über die deutsche Staatsbürgerschaft — eigentlich traurig, dass man so was überhaupt erwähnen muss. Jeder Mensch sollte Recht auf eine Unterkunft haben, völlig unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft.
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Obdachlosigkeit zu bekämpfen und bis 2030 vollständig zu beseitigen. Das klingt erst mal gut, man wird sich aber daran messen lassen müssen, wie weiter man in sieben Jahren vom selbstgesetzten Ziel entfernt ist.
Traurig stimmt einen, dass man sich in Deutschland als Obdachloser erst mal bewähren muss — also zum Beispiel wieder clean werden — bevor man ein Dach über den Kopf bekommt. Das und wie es anders geht, zeigt das Beispiel Finnland. Das Konzept dort nennt sich „Housing First“. Die Süddeutsche Zeitung berichtete diese Woche darüber. Man gibt den Menschen zuerst eine Wohnung und damit ihre Würde zurück. Alles andere kommt danach und nicht umgekehrt.
Ach ja, 2022 lag die Zahl der Langzeitobdachlosen in Finnland bei 1318 Menschen — allein Berlin hat laut SZ mit 26.000 Wohnungslosen deutlich mehr.