Mit einem 9-Euro-Ticket in überfüllten Zügen unterwegs. Der Beitrag der Bundesregierung zum heißen Corona-Herbst.
Nur gut gemeint
Wie heißt es so schön, das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint. Treffender lässt sich das 9-Euro-Ticket eigentlich nicht beschreiben. Die Details schauen wir gleich noch mal näher an, vorher aber ein paar grundsätzliche Gedanken meinerseits.
Das letzte Mal bin ich am 28. August 2020 mit der Bahn gefahren. Einfache Fahrt von Köln nach Emden, ohne zurückzublicken. Bisher ergab sich keine Gelegenheit für eine Bahnfahrt. Unter anderem auch aufgrund der Pandemie. Kleines Geheimnis am Rande: die ist noch nicht vorbei, auch wenn sich zunehmend mehr Menschen so verhalten, als wäre sie es.
Davor bin ich viele Jahre mit der Bahn ins Ruhrgebiet gependelt, besaß sehr lange ein BahnCard 100. Mit anderem Worten, ich kenne Zugfahren nicht nur vom Hörensagen. Leidvolle Erfahrungen und reichlich Verspätungen inklusive. Mir ist auch bekannt, in welchem beklagenswerten Zustand das Schienennetz bundesweit betrachtet ist und mit welchen Problemen sich das Unternehmen herumschlagen muss. Vier davon kennen die meisten: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter.
Gleichzeitig bin ich großer Fan des öffentlichen Nahverkehrs. Jedes zugunsten von Bus, Bahn oder Fahrrad nicht genutzte Auto ist ein gutes Auto. Die öffentliche Beförderung zu fördern, ist an sich eine gute Sache. Auf die Umsetzung kommt es an — sagt jemand wie ich, der die Einführung des Schöner-Wochenend-Tickets im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erleben durfte.
Kardinalfehler beim 9-Euro-Ticket
Kommen wir aber zum Kern. Meiner nach ist das Schlimmste am 9-Euro-Ticket nicht, dass es sich dabei um reine Symbolpolitik handelt. Es ist in jeder Hirnschicht das absolut falsche Signal an die Bürger:innen. Von Juni bis Ende August kann man für jeweils 9 Euro ein Monatsticket kaufen, welches im Nahverkehr der zweiten Klasse gültig ist. Man könnte sich also etwa von Berlin nach Sylt begeben und würde statt einem Preis von 42 Euro (Regionalverkehr, keine Platzreservierung, einfache Fahrt) nur die 9 Euro zahlen. Klar wäre man über acht Stunden unterwegs, aber hey, dafür kann man auch noch an den anderen Tagen des Monats andere Ziele mit dem Ticket ansteuern.
Blenden wir einmal alle andere Faktoren aus und stellen und lediglich vor, viele würden begeistert in den drei Monaten auf den Zug (oder die Züge) springen. Die typischen Probleme der Bahn sind hinlänglich bekannt, ebenso wie die Auslastung der Züge. Im Ergebnis hätten wir überfüllte Züge und genervte Reisende. Überfüllte Züge während einer Pandemie (wir erinnern uns, da war doch was…)? Eine denkbar schlechte Idee. Man muss sich entsprechend nicht wundern, was dann in Bezug auf Corona im Herbst abgehen wird.
Mögliche Alternativen
Um der Bevölkerung ein kleines Leckerli zu geben, hätte es andere Möglichkeiten anstelle des 9-Euro-Tickets geben. Passend zur Pandemie etwa 3 Monate Netflix kostenlos. Grundsätzlich war man ja in der Lage, sich sinnvolle auszudenken. Etwa die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent. Ein billiges Bahnticket ist keine gute Idee. Es wird auch niemanden von den Vorteilen des Reisenden mit dem Zug überzeugen, weil er die Bahn zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt erlebt.
Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und werde eine Idee in den Ring, von der ich als kinderloser Mensch nichts hätte — die ich aber dennoch für gut halten würde. Wie wär es zum Beispiel mit zwei Wochen Stadtranderholung kostenlos für alle Kinder von vier bis 14 Jahren? Die Kinder kommen raus und die Eltern können nach zwei Jahren mit Unterricht zu Hause und Home Office mal durchatmen.
Eine Antwort
Ich verstehe es auch nicht. Zusätzlich werden die Stadtbusse voller werden auch von Städtereisenden. Mehrwertsteuerentlastung käme allen zugute.