Erzählt man seinen Mitmenschen davon, dass man ganz ohne Auto lebt, erntet man oft Blicke, als wäre man ein angeschossenes Tier.
Tanz um das Auto
In den letzten Jahren habe ich mit vielen Menschen, die selber ein Auto haben, Gespräch geführt. Bewunderung oder gar Neid gab es selten, sehr oft aber Mitleid und Unverständnis. Auf ein Auto zu verzichten, ist, wie ich feststellen durfte, auch ein Reizthema. In meiner Wahrnehmung wirkt der PKW wie ein goldenes Kalb, um das getanzt wird. Man betet es an, vergöttert es. Es erklärt wohl auch, mit welcher Hingebung sich manche Zeitgenossen um die Reinigung und Pflege ihres Gefährts (vielleicht ist es ja auch Gefährte?) kümmern.
Für mich persönlich habe ich schon vor sehr lange Zeit die Weichen anders gestellt. Als ich die Wahl hatte, entweder ein Fahrrad oder ein (gebrauchtes) Auto zum Abitur zu bekommen, viel mir die Entscheidung nicht schwer — auch angesichts eines geplanten vierwöchigen Schottlandurlaubs. Im Studium brauchte ich kein Auto, danach in unterschiedlichen Wohnungen in Bielefeld auch nicht. Es ging immer ohne. Beim Umzug nach Köln war ich dann auch recht froh, kein Auto zu benötigen. Als meine Frau und ich dann in die autofreie Siedlung nach Nippes zogen, war es im Prinzip wie ein Ankommen nach einer langen Reise.
Unverständnis der Anderen
Es gibt anscheinend die feste Überzeugung, man könne ohne Auto nicht leben. Meiner Meinung nach geht das allerdings unter bestimmten Voraussetzungen ganz gut. Sicher, ich höre auch immer wieder das Argument, das würde nur gehen, weil wir keine Kinder hätten. Die Nachbarn im Haus mit ihren drei Kindern sind für mich der Beweis, dass es auch als größere Familie ohne Auto geht. Gleiches meinte Michael Kläsgen gestern in seinem lesenswerten Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Man nimmt ein paar Unbequemlichkeiten in auf, sicher. Es gibt Übergangs- und Wartezeiten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht alles Zuckerschlecken — von meinen Abenteuern mit der Bahn habe ich hier im Blog ja schon oft genug geschrieben.
Dennoch, es geht. Selbst ohne Carsharing (mir fehlt durch jahrelange Pause die Fahrpraxis und meine Frau hat keinen Führerschein). Man muss sich etwas anstrengend, da stimme ich Michael Kläsgen zu. Auf der anderen Seite, so empfinde ich das, erhält man eine enorme Freiheit. Ein Widerspruch? Für mich nicht. Das Auto kann auch eine Kette sein, die einen fesselt.
Erschreckende Kommentare
Was mich erschreckt hat bei Facebook, waren die sehr hässlichen Kommentare zum Artikel in der SZ. Menschen, die freiwillig auf ein Autor verzichten, sehe sich eine doch sehr feindseligen Stimmung gegenüber. Oft muss man sich sogar dafür rechtfertigen, warum man denn kein Auto hat. Eine kleine Auswahl an Kommentaren:
Freiwillig in einen mit Viren versuchten Zug, Bis oder eine Straba einsteigen, in der mind. 1/4 der Passagiere hustet, keucht, Bakterien verteilen? Dann lieber mit dem eigenen PKW…
Ich habe ein Auto und habe es bezahlt. Ich bezahle dafür Steuern und Versicherung. Also benütze ich es auch. Ich lasse mir nicht noch mehr von unserem Staat verbieten.
Ich habe sogar 2 Autos! Einen für den Winter und einen für den Sommer!
Öffentliche Verkehrsmittel sind echt eine Zumutung!Großstädter Phantasien …
Beim Artikel von Michael Kläsgen sollte man sich darüber im Klaren sein, dass er nicht mal ansatzweise versucht hat, jemanden zu missionieren. Auch räumt er selber ein (so wie das viele Menschen ohne Auto machen, die ich kenne), dass es Lebenssituationen gibt, wo ein Auto erforderlich ist.
Autofreie Großstädte
Auf dem Land würde ich ein Verzicht auf ein eigenes Auto auch als große Herausforderung sehen. In Großstädten aber sehe ich aber in der Regel kein Problem. Im Gegenteil. Der Verzicht löst eine ganze Reihe von Problemen. Für einen persönlich (Parkplatzsuche), aber auch für die Stadt selber (etwa die Verkehrsbelastung). Weniger PKWs in der Stadt sind zudem ein Plus an Lebensqualität. Für mich ist das ziemlich einleuchtend. Wer das Auto jedoch zu seiner Religion erklärt hat, für den leuchtet höchstens der Scheinwerfer.