Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Der 1. Weltkrieg, hat Europa, die Welt entscheidend geprägt. Häufig wird er auch als Urkatastrophe bezeichnet. Für mich gab es genügend Anlass, mich daher mit dem Buch „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark zu beschäftigen.

Schuldfrage

Das Buch von Christopher Clark habe ich bereits mehrfach hier im Blog erwähnt, auch weil ich mich dem Thema 1. Weltkrieg mehr oder weniger spielerisch annähere. Angesichts der Grausamkeit dieses Krieges klingt das mehr als merkwürdig. Aber erstens traue ich mir durchaus zu, differenzieren zu können und zweitens will ich unterschiedliche Aspekte verstehen.
Einer dieser Aspekte ist die Schuldfrage. Wer hat den 1. Weltkrieg ausgelöst? Für mich galt eine sehr lange Zeit das, was ich in der Schule im Geschichtsunterricht gelernt habe — und was in Deutschland auch lange die vorherrschende Meinung in der Forschung gewesen ist. Spätestens nach dem man das Buch „Die Schlafwandler“ gelesen hat, ist einem klar geworden, dass das so nicht haltbar ist. Natürlich war das Deutsche Reich kein Unschuldslamm, aber es gab eine ganze Reihe weiterer Faktoren und vor allem die Politik anderer Länder, die letztendlich zum Ausbruch des 1. Weltkriegs geführt haben.

Die Schlafwandler und Verdun

Signalschwarz / Pixabay

Die Schlafwandler und die Frage nach dem Wie

Das Buch „Die Schlafwandler“ beschäftigt sich nicht damit, warum es zum Krieg kam, sondern wie es zum Krieg kam. Die meiner Meinung nach wirklich herausragende Leistung von Clark besteht darin, ein hervorragendes Sachbuch verständlich und spannenden geschrieben zu haben — und es wurde auch gelungen ins Deutsche übersetzt. Dabei hat er auf eine Fülle von Materialien und Quellen zurück gegriffen, um handelnde Personen aus unterschiedlichen Ländern mit ihren jeweiligen Motiven und Motivationen zu zeigen. Den eins ist klar: ein Krieg wird nicht von einem Land geführt, sondern von Menschen. Daher geht es darum zu verstehen, was die Menschen dazu getrieben hat. Oder ob sie selber getrieben wurden.
Der Titel des Buches, „Die Schlafwandler“, kommt dabei nicht von ungefähr. Wie Schlafwandler haben die handelnden Personen die möglichen Gefahren bestimmter Entscheidungen ausgeblendet. Den Krieg in so eine Ausmaß konnte sich damals niemand vorstellen — gewollt in der Form hat ihn wohl auch niemand. Die Akteure steuerten blind in die Katastrophe. Eskalationen reihten sich aneinander und wurden durch Zufälle ergänzt.

Motive und Ängste

Beim lesen des Buches erfährt man als Leser sowohl etwas über die Motive der Personen wie etwa Edward Grey als auch über die Ängste. Es ist beängstigend nachzuerleben, wie die Handlungsspielräume der Politiker immer enger wurden. Ein wirklich prägnantes Beispiel ist hier etwa der Schlieffen-Plan des deutschen Generalstabs. Zu ihm gab es keine Alternative. Entsprechend war ein Krieg etwa nur gegen Russland nicht nur nicht vorgesehen, sondern nicht möglich — zumindest war dies die Haltung des Militärs. Wohl oder übel beugten sich sowohl der deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg als auch Kaiser Wilhelm II. dieser Linie. Frankreich wurde entsprechend angegriffen, obwohl es zunächst dafür keinen wirklichen Grund gab.
Aus den Zwängen, Bündnissen und Ambitionen ergab sich eine Konstellation, die zum Krieg führte. Aber nicht zwangsläufig, denn an vielen Stellen ließe sich über mögliche Wendepunkte spekulieren. Etwa der, ob der Einmarsch in Belgien ohne vorheriges Ultimatum oder anderweitige Ankündigungen die Briten auf den Plan gerufen hätte.

Absolut empfehlenswert

Meiner Meinung nach ist „Die Schlafwandler“ ein lesenswertes, ein empfehlenswertes Buch. Der methodische Aufbau so wie die Vorgehensweise von Clark, sich dem Thema durch Einkreisung (sehr passend an dieser Stelle…) zu näher, macht große Lust auf die Auseinandersetzung mit Geschichte. Allein das wäre für mich schon ein Grund, dieses Buch zur Lektüre im Geschichtsunterricht der Oberstufe zu machen. Gleichzeitig zeigt das Wie auch die Komplexität und Wechselwirkung politischer Ereignisse und Handlungen. Man kann natürlich nichts eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen. Aber man kann lernen und verstehen. So ist mir zum Beispiel deutlich geworden, warum es nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien nach 1991 zu einer ganzen Serie von Kriegen auf dem Balkan kam.

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