Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Das heute in der Süddeutschen Zeitung der Artikel „Analog ist Trumpf“ über Brettspiel zu lesen war, ist kein Zufall. Er steht in Verbindung mit der Verkündung des Preisträgers „Spiel des Jahres“ gestern.

Liebloser Artikel

Auch wenn die Überschrift des heutigen Blogeintrags bereits einen Spoiler enthält, möchte ich doch erstmal ein paar Worte zum SZ-Artikel verlieren. Denn der war ebenfalls ziemlich enttäuschend. Die Süddeutsche Zeitung lese ich nun seit nunmehr 26 Jahren. So einen lieblosen Artikel wie ihn Uwe Ritzer geschrieben hat, liest man zum Glück nicht besonders oft. Ein wenig erinnert er mich an Berichte von Kaninchenzüchtern oder einer Jahreshauptversammlung der örtlichen Philatelisten in der Lokalzeitung. Der Reporter, vorzugsweise Praktikant, wird dort hin geschickt — obwohl ihn das Thema überhaupt nicht interessiert. Entsprechend ist dann der Bericht darüber.
Wer über so brisante Themen wie die Manipulationen bei der Vergabe des Autopreises „Gelber Engel“ berichtet hat, ist vermutlich auch bei einem Bericht über das Spiel des Jahres etwas unterfordert.

Für manche immer noch das Spiel des Jahres

Devanath / Pixabay

Stoßrichtung der Berichterstattung

Welche Richtung der Bericht von Uwe Ritzer über das Spiel des Jahres nimmt, gefällt mir zudem auch nicht. Gekürt als Spiel des Jahres wurde „Kingdomino“, was Ritzer mit folgenden Worten kommentierte:

Aus Alt mach Neu gewissermaßen, das liegt im Trend. Auch Klassiker wie „Monopoly“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ werden in neue Kulissen gesteckt, ohne den Kern zu verändern.

 

Für alle, die sich auch nur etwas mit dem Thema Brettspiele beschäftigen, ist das ein Faustschlag ins Gesicht. Einer der bei der Wahl von Kingdomino allerdings zu erwarten war. Natürlich zieht man daraus dem falschen Schluss, auch wenn Uwe Ritzer das Gegenteil erwähnt. Wer Brettspiele nur aus der Ferne beobachte, wird glauben, es gäbe hier keine neuen Ideen, keine Innovation.

Ein problematisches Spiel des Jahres

Die fehlende echte Innovation ist aus meiner Sicht genau das Problem, was Kingdomino noch verschärft. Ein Spiel des Jahres, welches einen völlig falschen Eindruck vermittelt. Wäre mein Favorit von der Liste, Magic Maze Spiel des Jahres geworden, hätte ein spürbar innovatives Spiel gewonnen.
Aber weiter zum Rest des Artikels von Ritzer. Ravensburger als Marktführer zu bezeichnen ist problematisch. Vom Umsatz im Fachhandel vielleicht, wenn man die gesamte Produktpalette betrachtet wozu eben auch Puzzle und andere Dinge gehören, die keine Brettspiele sind. Pegasus dagegen ist meiner Meinung nach eine Größe im Bereich der Brettspiele. Noch größer ist in jedem Fall Asmodee und die mit dem Unternehmen fusionierten anderen Verlage. Jährlich kommen auch gefühlt nicht hunderte, sondern eher mehr als tausend Spiele neu auf den Markt.

Domino in der Neuauflage

Enttäuscht bin ich aber nicht nur vom Artikel, sondern auch von der mut- und einfallslosen Entscheidung der Jury Spiel des Jahres. Vom Gewinner in diesem Jahr geht keine Signalwirkung aus. Während man sich aber Kingdomino (Preisträger des Spiels für Wenigspieler) noch irgendwie schön reden kann, ist dies beim Preisträger „Kennerspiel des Jahres“ nicht möglich. Gewonnen hat mit der Exit-Reihe (hier wurde zum ersten Mal eine ganze Reihe und kein einziges Spiel ausgezeichnet) ein besseres Rätselheft. Ein Spiel, welches nach einmaligen durchspielen wertlos geworden ist. Willkommen in der Wegwerfgesellschaft.
Das Signal hier nach außen: so ein Spiel ist für einen (die Betonung liegt hier wirklich auf einen) netten Abend. Das hat mit Kennerspiel nun wirklich nichts zu tun.
Mit Village (2012), Die Legenden von Andor (2013) und Istanbul (2014) gab es deutlich würdiger Vertreter für ein so genanntes Kennerspiel.

Traurige Empfehlungen

Wie schon beider Bekanntgabe der Gesamtliste geschrieben, überzeugen mich die Empfehlungen auf beiden Listen, also sowohl auf der zum Spiel des Jahres als auch die zum Kennerspiel des Jahres mehr als die Nominierungen oder die tatsächlichen Preisträger. Kennerspiel hätte „Captain Sonar“ genau so werden können wie „Great Western Trail“. Als Spiel des Jahres von den Empfehlungen hätte es Fabelsaft verdient — auch um einen Autor zu würdigen, der bereits einige gute Spiele entwickelt hat.

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