orIn Bezug auf die Art und Weise wie und wann ich arbeite, habe ich bestimmte Vorstellung. Dazu gehört auch die Schaffung eines Gleichgewichtes, Neudeutsch Work-Life-Balance.
Ab in die Nesseln
Als die t3n am Wochenende über das Thema Work-Life-Balance schrieb, war ich natürlich entsprechend neugierig. Dann aber enttäuscht und schließlich ziemlich wütend. Abgesehen davon, dass ich mich seit längerem bei der t3n frage, welche Richtung das Magazin sowohl online als auch offline einschlägt, wurde ein Tiefpunkt erreicht.
Man weiss bei der t3n nicht, welche Intention hinter den Artikel. Um Information scheint es nur noch zu geringen Teilen zu gehen. Eher um Füllmaterial. Leider aber auch um Füllmaterial geringerer Qualität. Der Artikel über Work-Life-Balance ist da kein Ausnahmefall. So frage sich kürzlich Torsten Siedel „Quo vadis t3n?“. Ihm ging es um einen Text über die Installation von WordPress in der t3n. Es bestärkt meinen Eindruck der Schludrigkeit bei der t3n.
Arbeite und lebe
Zum Thema WordPress Installation könnte ich auch was sagen, aber Torsten listet die Fehler schon gut auf und geht darauf ein. Fehler kann man korrigieren. Ob das bei einer komplett anderen Ansicht auch der Fall ist, wage ich zu bezweifeln. Bevor ich aber auf den Artikel in der t3n näher eingehe, ein persönlich Rückblick. Vor etwa fünf Jahren stand ich kurz vorm Burnout. Beruflich wurde mir alles zu viel, das ständig unter Strom stehen. Nicht abschalten können, egal wo ich gerade bin. Keine Trennung mehr zu haben zwischen Arbeit und Beruf. Die fließenden Grenzen wurden zum Fluch. Nach langen Gesprächen im Freundeskreis zog ich die Notbremse. Ich begann, sauber zu trennen. Verabschiedet mich vom Wahn der ständigen Erreichbarkeit, führte innere Bürozeiten ein. Ja, das geht auch wenn man bevorzugt im Homeoffice arbeitet. Zudem beschäftigte ich mich intensiv mit Methoden des Zeitmanagments. Für mich funktioniert nach wie vor die Pomodoro-Technik um mich zu fokussieren.
Work-Life-Balance im ICE
Gelernt habe ich dann in Bezug auf das Pendeln, fünf gerade sein zu lassen. Man kann im Zug wunderbar schlafen, ein Buch lesen oder einfach nur aus dem Fenster schauen. Wer morgens schon im Zug sein Notebook herausholt um zu arbeiten und es abends auch noch auf der Rückfahrt macht, verkürzt letztendlich sein Leben. Und nimmt sich eine Menge Lebensqualität. Wir brauchen Rituale des Übergangs zur Trennung von Arbeit und Freizeit. Aus diesem habe ich auch ganz persönlich meine Rituale, wenn ich mich morgens zu Hause am Schreibtisch setze und für die Agentur arbeite. Work-Life-Balance hat nichts mit einem Ausgleich des Arbeitsfrusts zu tun, sondern viel mit einem echten Gleichgewicht. Für mich gehört dazu auch, die gewerkschaftlichen Errungenschaften wie einen gewissen Umfang an Arbeitszeit pro Woche zu schätzen. Wer über 40 Stunden arbeitet, tut mir ehrlich leid. Besonders dann, wenn es nicht wie in einigen prekären Beschäftigungsverhältnissen aus existenzieller Not heraus macht.
Arbeit frisst auf
Ja, die Arbeit kann einen wirklich auffressen. Schlaflose Nächte bereiten, den Blutdruck in die Höhe schnellen lassen und vieles mehr. Wer von einem Ausgleichszwang im Zusammenhang von Work-Life-Balance redet, hat wenig verstanden worum es eigentlich geht, oder aber verfügt keine wirkliche Einsicht in das, was Arbeit für die breite Masse ausmacht. Arbeit ist weder böse noch gut. Sie ist Mittel zum Zweck für viele von uns. Die Autorin Alexandra Vollmer nennt vier angebliche Irrtümer von Work-Life-Balance. Unter Punkt eins steht, dass Menschen arbeiten wollen. Nein, wollen sie nicht. Zum Teil glauben es zu wollen, weil die Gesellschaft Arbeit als einziges Mittel zur Seligkeit definiert hat. Andere müssen arbeiten obwohl sie es nicht wollen — weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Muße macht nicht euphorisch? Mein herzliches Beileid, wenn man ein solches Leben führt. Ich für meinen Teil habe sehr erfüllende Freizeitbeschäftigungen.
Abschalten können
„Abschalten!“ Das sagte schon im anderen Zusammenhang Peter Lustig. Und ja, man kann abschalten. Es ist eine Frage der Übung, los zu lassen und zu erkennen, wie wichtig das ist. Bei Punkt zwei der Auflistung wird ganz besonders deutlich, dass sich Frau Vollmer ganz auf eine bestimmte Berufsgruppe konzentriert. Wie zermürbend es ist, nicht abschalten zu können, sollte sich mit Lehrer unterhalten. Die anstehenden sechs Wochen Sommerferien habe auch Gründe.
Den Absatz über „Sangeskünste im goldenen Käfig“ musste ich mehrfach lesen. Wirklich klar geworden ist mir nicht, was uns die Autorin damit sagen wollte. Ausgleichsmechanismen sehen für mich auch anders aus als betriebliche Sportangebote oder der berühmt-berüchtigte Kicktertisch in der Agentur.
Talente und Leckerlis
Leckerlis bekommt der Hund. Dabei sollte man es auch belassen. „Talente wollen ihr Talent einsetzen“ — was für eine arrogante Sicht auf die Arbeitswelt. Welches Talent hat die Klofrau, welches sie unbedingt auf der Arbeit einsetzen will? Verwirklicht sie sich selber? So der Hermes-Paketbote? Bitte, wer solche „Lebensweisheiten“ von sich gibt, sollte zu Beginn seines Artikels einen Disclaimer verwenden: „Lesen sie diesen Text ab einem Jahreseinkommen von 70.000 Euro oder mehr.“
Es heisst „Unternehmen, die sich intensiv für Work-Life-Balance einsetzen“ würden leiden. Ach so, es geht also gar nicht um die Sicht des Arbeitnehmers, sondern die des Arbeitgebers?
Sinn des Lebens
Über den Sinn des Lebens kann man lange philosophieren. Ganz persönlich besteht für mich der Sinn des Lebens in einem erfüllten Leben. Was aber macht ein erfülltes Leben aus? Möglicherweise ein Ausgleich zwischen dem, was notwendig und dem was einfach nur schön ist. Ich habe den Luxus eine Arbeit zu haben, die mir Spaß mach und mich interessiert. Einen Arbeitgeber, der mir Freiraum gewährt und auf Eigenverantwortung setzt. Einer, der aber auch weiß, wie wichtig mir die Trennung zwischen Beruf und Freizeit ist. Das ist meine ganz persönliche Work-Life-Balance.
Mir ist aber auch bewusst, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die diesen Luxus nicht haben. Die sich von Montag bis Freitag quälen und die Stunden bis zum Wochenende, bis zu Rente zählen. Nicht jede Arbeite, jede Tätigkeit ergibt sind. Sie muss getan werde, leider. Aufgabe der Gesellschaft wäre es hier, für eine andere Art des Ausgleichs zu sorgen. Das würde das Thema wohl sprengen.